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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2
Autoren: Gary Jennings
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aussehende Männer aus der gefrorenen Gobi herauskommen, die mich fast zu Tode erschreckten, denn sie hatten alle schimmernde Augen aus Kupfer. Als sie näher kamen, erkannte ich, daß sie etwas Ähnliches aufhatten wie dieses hier. Eine Art dòmino-Maske aus dünnem Kupferblech, von vielen nadelfeinen Löchern durchbohrt. Dadurch konnte man zwar nicht besonders gut sehen, aber sie behaupteten, es bewahre sie davor, im grellen Schneegleißen zu erblinden.«
    »Ja, ja«, sagte Abano ungeduldig. »Von den Männern mit den Augen aus Kupfer habt Ihr mir mehr als einmal erzählt. Aber was haltet Ihr von dem occhiale? Könnt Ihr damit nicht viel besser sehen?«
    »Ja«, sagte ich, freilich nicht besonders begeistert, denn was ich im Spiegel vor mir sah, war ich selbst. »Ich sehe nichts, das ich nicht vorher auch gesehen hätte. Ihr seid ein mèdego, Abano. Gibt es einen medizinischen Grund dafü r, daß mir oben auf dem Kopf die Haare ausgehen, mir jedoch auf der Nasenspitze Borsten sprießen?«
    Immer noch ungeduldig, sagte er: »Die tiefsinnige medizinische Bezeichnung dafür heißt ›Alter‹. Nun, was ist mit dem occhiale? Ich kann eines bestellen, das eigens auf Euer Sehvermögen abgestimmt ist. Schlicht oder reich verziert, zum mit der Hand vors Gesicht Halten oder um den Kopf binden, aus Holz, das mit Edelstein eingelegt ist, oder ge-punztem Leder…«
    »Danke, alter Freund, aber ich glaube, lieber nicht«, sagte ich, legte den Spiegel nieder und reichte ihm den Sehapparat zurück. »Ich habe in meinem Leben viel gesehen. Vielleicht ist es ein Segen, wenn ich nicht alle Anzeichen des Verfalls sehe.«
    Gerade heute geht mir auf, daß wir den zwanzigsten Tag des Monats September haben. Meinen Geburtstag. Ich stehe nicht mehr im fünfundsechzigsten Jahr. Ich bin heute unsicheren Schritts über die unsichtbare, aber um so deutlicher spürbare Scheidelinie hinweggegangen, die mich ins sechsundsechzigste Jahr führt. Diese Erkenntnis drückte mich einen Moment nieder, doch dann reckte ich mich zu voller Größe auf -strafte den stechenden Schmerz im Kreuz mit Nichtachtung -und straffte die Schultern. Entschlossen, nicht in kläglichem Selbstmitleid zu versinken, überlegte ich, wie ich meiner Stimmung etwas auf die Sprünge helfen könnte, schlurfte hinüber in die Küche zum Hackblock, wo unsere Köchin bei der Arbeit war, und sagte im Plauderton:
    »Nastàsia, ich will dir eine erbauliche Geschichte erzählen, aus der du noch etwas lernen kannst. Etwa um diese Jahreszeit begehen die Menschen in Kithai und Manzi ein Fest, das sie Mondkuchenfest nennen. Es handelt sich um ein Fest, das im trauten Familienkreis gefeiert wird, nichts Gewaltiges. Die Familien kommen nur liebevoll zusammen und essen gemeinsam Mondplätzchen. Das ist kleines, rundes Gebäck mit vielerlei guten Zutaten, das vorzüglich mundet. Ich will dir sagen, wie man sie macht, und vielleicht tust du mir den Gefallen und bäckst mir welche. Dann könnten die Dona und die Damine und ich so tun, als feierten wir wie die Han. Du nimmst Nüsse und Datteln und Zimt und…«
    Ich flog fast aus der Küche heraus und stürmte durchs Haus auf der Suche nach Donata. Diese fand ich in der Ankleidekammer, wo sie nähte und in sanft-vorwurfsvollem Ton sagte: »Hast du Nata wieder belästigt?«
    »Sie belästigt, daß ich nicht lache! Ist sie nun bei uns angestellt, um uns zu dienen, oder ist sie das nicht? Dieses Weib hatte die Stirn zu sagen, sie sei es leid, dauernd von den üppigen Speisen zu hören, die ich in der Fremde genossen hätte; sie wolle nie wieder etwas davon hören. Che braga! Spricht eine Dienerin so mit ihrem Herrn?«
    Donata gluckste voller Mitgefühl. Ich stapfte wütend ein wenig auf und ab und traktierte verschiedenes, das herumstand, mit Fußtritten. Dann fing ich von neuem an und erklärte mit tragischer Stimme:
    »Unsere Domestiken, die Dogaressa, selbst meine Kollegen am Rialto -kein Mensch scheint heute noch etwas lernen zu wollen. Sie wollen nur, daß alles so bleibt, wie es ist, und hassen es, aus dieser Trägheit aufgeschreckt oder herausgerissen zu werden. Versteh mich recht, Donata, bei anderen Leuten ist mir das egal; aber bei meinen eigenen Töchtern! Meine eigenen Töchter seufzen auf, trommeln mit den Fingern und schauen zum Fenster hinaus, wenn ich ihnen irgend etwas Erbauliches erzählen will, woraus sie etwas lernen können, das ihnen vielleicht einmal von großem Nutzen ist. Könnte es sein, daß du diesen Mangel an Hochachtung
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