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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2
Autoren: Gary Jennings
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das lebhafte Leuchten; außerdem fing sie an, sich in leichte schwarze Baumwollseide zu kleiden und die Umschlagtücher der alten Frauen um sich zu legen. Und das mit zweiunddreißig! Ich war zwar schon fünfzig, aber hielt mich immer noch gerade und war schlank und kräftig; außerdem trug ich die reichen Gewänder, auf die ich meines Standes wegen ein Recht hatte, und die ich gern trug, da ich Farben nun einmal mochte. Haupt-und Barthaar wiesen immer noch kaum Grau auf, mein Blut war noch nicht dünner geworden, ich hatte immer noch Lust aufs Leben und aufs Vergnügen, und meine Augen leuchteten immer noch auf, wenn ich eine schöne Dame sah. Allerdings, das muß ich sagen, wenn ich Donata sah, wurden sie glasig.
    Daß sie sich aufführte wie eine alte Frau, machte sie zu einer alten Frau. Sie ist heute jünger, als ich es bei Moratas Geburt war. Dennoch hat sie in den folgenden fünfzehn Jahren all die wenig ansprechenden Züge und das Aussehen einer um viele Jahre älteren Frau angenommen -erschlaffte Gesichtshaut, faltiger und sehniger Hals, die Bänder, welche die Finger bewegen, durch die gesprenkelte Haut auf den Händen hindurch sichtbar, die Ellbogen wie alte Münzen, das Fleisch an den Oberarmen weich und wabbelig; und wenn sie den Rock rafft, um am Landeplatz der Corte in eines unserer Boote hinunterzusteigen, kann ich sehen, daß ihr das Fleisch an den Enkeln über die Schuhe hängt. Was aus dem milchweißen, muschelrosigen und goldbevliesten Leib geworden ist, weiß ich nicht; ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen.
    Ich wiederhole: Sie hat mir in all diesen Jahren meine ehelichen Rechte nie versagt, wohl aber hinterher stets apathisch dagelegen, bis der Moment vorüber war und sie von der Angst befreite, sie könnte wieder schwanger sein. Nach einiger Zeit stand das selbstverständlich nicht mehr zu befürchten, doch zu der Zeit gab ich ihr auch keinen Anlaß mehr, irgendwelche Befürchtungen hegen zu müssen. Inzwischen kam es auch vor, daß ich einen Nachmittag oder gar eine ganze Nacht von zu Hause fortblieb, doch verlangte sie von mir nie eine verlogene Entschuldigung, geschweige denn, daß sie mich für meine pecatazzi bestraft hätte. Nun, ich konnte mich über ihre Nachsicht nicht beschweren; ich kenne viele Ehemänner, die sich freuen würden, wenn sie eine so nachsichtige und wenig zänkische Frau hätten. Und heute, da Donata mit siebenundvierzig beklagenswert und viel zu früh wirklich eine alte Frau ist, habe ich sie eingeholt. Ich stehe jetzt in meinem fünfundsechzigsten Jahr, deshalb hat es nichts Besonderes und Verfrühtes, wenn ich so alt aussehe, wie sie es ist, und ich die Nächte nicht mehr außerhalb verbringe. Selbst wenn ich gern noch streunen würde, ich erhalte heutzutage keine allzu verlockenden Angebote mehr, ihnen nachzukommen, und wenn ich doch einmal eines erhielt, müßte ich mit Bedauern ablehnen.
    Ein deutsches Handelshaus hat vor kurzem hier in Venedig eine Zweigstelle eingerichtet und stellt eine neuerlich vervollkommnete Art von Spiegeln her; sie bleiben auf keinem einzigen, den sie herstellen, sitzen, und kein eleganter venezianischer Haushalt -der unsere eingeschlossen -kommt ohne ein oder zwei davon aus. Ich bewundere die glänzenden Spiegelflächen und die unverzerrten Spiegelbilder, die sie liefern; dennoch finde ich, sie sind nicht nur ein Segen. Ich für mein Teil würde es vorziehen zu glauben, daß das, was ich sehe, auf Unvollkommenheit und Verzerrung zurückzuführen ist, als zugeben zu müssen, daß ich mich sehe, wie ich wirklich aussehe. Der mittlerweile vollständig ergraute Bart und die schütterer werdenden grauen Haupthaare, die Runzeln und die bräunlichen Flecken auf der Haut, die Säcke unter den Augen, die jetzt triefen und nicht mehr so gut sehen können…
    »Es ist überhaupt nicht nötig, schlecht zu sehen, Freund Marco«, sagte Dotòr Abano, der nun seit vielen Jahren unser Hausarzt und genauso alt ist wie ich. »Diese erfinderischen Deutschen haben noch ein neues Wunder aus Glas geschaffen. Sie nennen diesen Apparat ›Brille‹ -oder occhiale, wenn Euch das lieber ist. Ihr glaubt nicht, was die beiden Gläser darin für das Sehvermögen bedeuten können. Haltet das Ding vors Gesicht und betrachtet diese beschriebene Seite dadurch. Ist die Schrift nicht klarer zu lesen? Und jetzt seht Euch selbst im Spiegel an.«
    Ich tat es und murmelte: »Einst, während eines gestrengen Winters, sah ich an einem Ort namens Urumqi ein paar verwegen
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