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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2
Autoren: Gary Jennings
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sein Gehör schärft und es seine ganze Aufmerksamkeit darauf richten kann, seine Musik zu vervollkommnen, damit ihm eines Tages ein Platz als Palastmusiker eingeräumt wird.‹«
    Allgemeines Schweigen breitete sich aus. Dann sagte die Dogaressa spitz: »Ich finde, das ist keine Geschichte, die man bei Tisch erzählen kann, Messer Marco.« Ich bin nie wieder eingeladen worden.
    Als ein junger Mann namens Marco Bragadino, der letzthin meiner ältesten Tochter, Fantina, den cascamorto, ihr also auf ziemlich unbeholfene Weise den Hof machte, indem er ihr schmachtende Blicke zuwarf und herzerweichend seufzte, schließlich allen Mut zusammennahm und zu mir kam, um mich zu fragen, ob er in aller Form um Fantina werben und ihr entsprechende Besuche abstatten dürfe, wollte ich ihn beruhigen, indem ich jovial sagte:
    »Das erinnert mich an ein Vorkommnis in Khanbalik, junger Bragadino. Dort wurde ein Mann vor den cheng -den Gerichtshof -geschleppt und beschuldigt, seine Frau zu schlagen. Die Zunge des cheng fragte, ob der Mann denn gute Gründe für sein Verhalten habe, woraufhin der Unselige sagte, ja, er prügele seine Frau, weil sie ihr Töchterchen gleich nach der Geburt erstickt habe. Die Frau wurde gefragt, ob sie dazu etwas zu sagen habe, woraufhin sie schrie: ›Aber es war doch bloß eine Tochter, meine Herren! Es ist kein Verbrechen, überflüssige Töchter zu beseitigen. Außerdem ist das Ganze vor fünfzehn Jahren passiert.‹ Daraufhin fragte die Zunge den Mann: ›Mann, warum um alles auf der Welt prügelt Ihr Eure Frau dann jetzt?‹ Und der Mann antwortete: ›Meine Herren, vor fünfzehn Jahren hat das nichts weiter ausgemacht. Doch vor kurzem hat irgendeine Frauenpest die meisten anderen jungen Mädchen in unserem Bezirk dahingerafft, und die wenigen, die zu haben sind, bringen fürstliche Preise!‹«
    Nach einer Weile räusperte der junge Bragadino sich und fragte: »Hm, ist das alles, Messere?«
    »Das ist alles«, sagte ich. »Ich kann mich nicht erinnern, welches Urteil der cheng in diesem Fall gefällt hat.«
    Als der junge Bragadino völlig verwirrt und kopfschüttelnd gegangen war, stürmten meine Frau und Fantina herein und fielen wie die Furien über mich her. Offensichtlich hatten sie an der Tür gelauscht.
    »Papà, was hast du getan? Gramo mi, du hast mir meine besten Heiratsaussichten zunichte gemacht! Ich werde mein Leben lang eine vertrocknete und verachtete alte zitella bleiben. Ich werde mit dem Kleinod sterben! Wie konntest du nur!«
    »Marcolfo vechio«, sagte Donata, darin ganz ihre erinnerungswürdige Mutter, »in unserem Haus herrscht kein Mangel an Töchtern. Du kannst es dir kaum leisten, irgendwelche Freier abzuweisen!« Sie ersparte auch Fantina nichts von ihrem Freimut. »Es ist schließlich nicht so, daß sie aufsehenerregende Schönheiten wären, die sich ihrer Freier nicht erwehren könnten!« Fantina stieß einen erstickten Klagelaut aus und stürzte aus dem Raum. »Kannst du denn nicht endlich aufhören mit deinen ewigen Geschichten und abgedroschenen Scherzen?«
    »Du hast recht, meine Liebe«, sagte ich zerknirscht. »Ich weiß es ja besser. Und eines Tages werde ich es auch besser machen.«
    Sie hatte durchaus recht, das gebe ich zu. Was die Kinder betrifft, hatte Donata sich ihren Glauben an die Güte des lieben Gottes bewahrt, aber nachdem sie uns drei Töchter geboren hatte, verzweifelte sie offensichtlich daran, daß der liebe Gott dem venezianischen Hause Polo jemals einen Sohn und Erben schenken würde. Daß ich keine männlichen Nachkommen hatte, war für mich nun keine Enttäuschung, über die ich nie hinwegkam, und sie vergällte mir auch nicht das Leben. Ich weiß, es ist nicht sehr christlich von mir, das zu sagen, doch glaube ich nun einmal nicht, daß, wenn mein eigenes Leben vorüber ist, ich mich noch sonderlich für die Angelegenheiten dieser Welt interessieren oder die bleichen Hände meiner Seele ringen werde, weil ich keinen Marcolino Polo hinterlassen habe, sich um all die Waren in den Speicherhäusern der Compagnia und um die zafràn-Plantagen zu kümmern, die ich nicht habe mitnehmen können. Ich beichtete diese unbotmäßige Kleingläubigkeit weder vor seinem Tode dem alten Pare Nardo (dabei hätte dieser sanftmütige alte Mann mir wohl nur eine geringe Buße dafür auferlegt), noch werde ich sie dem verbissen dreinschauenden jungen Pare Gasparo beichten (der die Buße selbstgerecht hart ausfallen ließe), doch neige ich zu dem Glauben, daß, wenn
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