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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1
Autoren: Gary Jennings
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Farben waren, nahmen wir nur jene Veränderungen an ihnen wahr, die durch Wetter und Tageszeit hervorgerufen wurden. An klaren Tagen fingen die Gipfel den Glanz der Morgendämmerung auf, während wir noch von der Nacht gefangen waren; genauso bewahrten sie die Glut des Sonnenuntergangs noch lange nachdem wir das Lager aufgeschlagen, zu Abend gegessen und uns im Dunkel zum Schlafen niedergelegt hatten. An Tagen, da Wolken am Himmel standen, konnte es geschehen, daß eine weiße Wolke über einen nackten braunen Felsen dahinsegelte und ihn verbarg. War die Wolke vorübergezogen, tauchte die Spitze wieder auf, doch nunmehr weiß verschneit, gleichsam, als hätte sie der Wolke Fetzen herausgerissen, sich darin einzuhüllen.
    Befanden wir selbst uns in großer Höhe und ging es einen aufwärtsführenden Pfad hinan, narrte das Höhenlicht dort oben unsere Augen. In fast allen Bergländern herrscht fast immer ein leichter Dunst vor, der jeden weiter entfernten Gegenstand dem Auge etwas weniger klar, verschwommener erscheinen läßt, so daß man schwer abschätzen kann, was nun näher und was weiter entfernt liegt. Im Pai-Mir jedoch sucht man Dunst vergebens, und es ist unmöglich, die Entfernung oder auch nur die Größe der gewöhnlichsten und vertrautesten Gegenstände abzuschätzen. Oft heftete ich den Blick auf einen Berggipfel am fernen Horizont und schrak dann zusammen, als ich sah, daß unsere Pack-Yaks bereits darüber hinwegkletterten -und es war nichts weiter als ein Hügel aus Felsgestein, wenige hundert Schritt von mir entfernt. Oder ich erhaschte einen Blick von einem massig-plumpen surragoy -einem der wildlebenden Gebirgs-Yaks, die sich ausnahmen, als wären sie selbst ein Stück Berg -, der dicht neben unserem Pfad lauerte, woraufhin ich mir Sorgen machte, er könnte unsere zahmen Yaks verlocken fortzulaufen -um mir dann darüber klarzuwerden, daß er in Wirklichkeit einen ganzen farsakh von uns entfernt stand und ein ganzes Tal zwischen ihm und uns lag.
    Die Höhenluft war nicht minder trügerisch als das Licht. Wie bereits im Wakhän (den wir bereits als Tiefland ansahen), weigerte die Luft sich, die Flammen unserer Kochfeuer mehr als matt brennen zu lassen, sie flackerten nur bläulich und lau, und unsere Töpfe brauchten eine Ewigkeit, ehe das Wasser darin zum Sieden kam. In dieser Höhe wirkte die dünne Luft sich sogar auf die Sonnenhitze aus. Die Sonnenseite eines Felsens konnte so heiß werden, daß es nicht ratsam war, sich dagegen zu lehnen; die im Schatten liegende Seite konnte unbehaglich kalt sein. Manchmal mußten wir unsere schweren chapon-Mäntel ablegen, weil uns in der Sonne unerträglich heiß darin wurde, und doch wollte kein einziges Eiskristall von dem vielen Schnee um uns herum schmelzen. Die Sonne brachte Eiszapfen blendend grell und in schillernden Regenbogen zum Aufblitzen, doch Tropfen bildeten sich an ihren Spitzen nie.
    Das jedoch war nur bei klarem und sonnigem Wetter im Hochgebirge so, wenn der Winter für kurze Zeit schlief. Ich glaube, diese Höhen sind es, in die der alte Winter sich zurückzieht, um sich zu mopsen und zu schmollen, wenn der Rest der Welt nichts mehr von ihm wissen will und wärmere Jahreszeiten willkommen heißt. Und hierher -vielleicht in die eine oder andere Berghöhle -zieht der alte Winter sich zurück, um dort von Zeit zu Zeit ein Nickerchen zu machen. Aber sein Schlaf hat etwas Unruhiges, er wacht dauernd wieder auf, gähnt, so daß Windstöße dahinfahren, wirbelt mit den Armen wie mit Windmühlenflügeln und schüttelt ganze Kaskaden Schnee aus dem Bart. Wie oft habe ich nicht die beschneiten Bergspitzen sich mit frischem Schneefall verschmelzen und restlos im blendenden Weiß verschwinden sehen; es dauerte nicht lange, da verschwanden auch die näher gelegenen Gipfel, dann die Yaks, die unseren Zug anführten, danach alles andere, und am Schluß verschwand alles im Weiß, was jenseits der flatternden Mähne meines Pferdes lag. Bei manchem dieser Stürme waren die Flocken so dick und wehte der Wind mit einer Heftigkeit, daß wir Reiter am besten damit vorankamen, wenn wir uns umdrehten und rückwärts auf dem Sattel saßen und die Reittiere selbst den Weg suchen ließen, indem sie wie Segelboote quer zum Wind vorwärtsstapften.
    Da es ständig bergauf und bergab ging, kamen wir alle paar Tage aus den strengen Klimabereichen in mildere Zonen immer dann nämlich, wenn wir in warme, trockene und stauberfüllte Schluchten hinabstiegen, in denen schon die
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