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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1
Autoren: Gary Jennings
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zu fallen, daß wir anderen die ganze Reise bis Murghab hätten zurücklegen können, ohne viel von ihnen zu merken. Obwohl die Chola Tamil und nicht Hindi sprachen, gehörten sie doch der Hindu-Religion an und kamen auch aus Indien; infolgedessen mußten sie die ganze Verachtung und den Hohn ertragen, mit dem andere Völker die Hindus zu Recht betrachten. Unser Sklave Nasenloch war der einzige Nichthindu, von dem ich wußte, daß er sich die Mühe gemacht hatte, die tief stehende Hindi-Sprache zu erlernen, und nicht einmal er hatte je Tamil gelernt. Infolgedessen konnte sich keiner von uns in ihrer Muttersprache mit diesen Chola unterhalten, und ihre Beherrschung des Farsi ließ sehr zu wünschen übrig. Nachdem wir ihnen jedoch deutlich gemacht hatten, daß wir den Kontakt mit ihnen nicht scheuten und uns auch nicht offen über sie lustig machten oder über ihr schleppendes Farsi lachten, zeigten sie sich uns gegenüber geradezu schmeichlerisch zuvorkommend und überboten sich förmlich, uns Interesantes über diesen Teil der Welt zu berichten und uns klarzumachen, welche Vorteile es habe, gerade diese Route eingeschlagen zu haben.
    Dies ist das Land, das die meisten Abendländer die Ferne Tatarei nennen und von dem sie meinen, es stelle den östlichsten Rand der Erde dar. Doch diese Bezeichnung ist doppelt mißverständlich. Die Welt dehnt sich auch im Osten noch weit über die Ferne Tatarei hin aus, und der Name Tatarei könnte nicht falscher gewählt sein. Ein Mongole heißt in dem in Persien gesprochenen Farsi Tatar, unter dieser Bezeichnung haben die Abendländer daher zum ersten Mal vom Mongolenvolk gehört. Später, als dann die Mongolen genannten Tataren wie ein Sturm über die Grenzen Europas dahinfegten und das gesamte Abendland vor Angst und Haß auf sie zitterte, war es vielleicht natürlich, daß viele Abendländer das Wort Tatar mit dem alten klassischen Namen für die Unterwelt - Tartarus -verwechselten. So kam es, daß die Abendländer von den »Tataren aus der Tatarei« genauso sprachen wie von den »Teufeln aus der Hölle«.
    Doch selbst Menschen aus dem Osten, die doch die richtigen Namen für diese Landstriche hätten kennen sollen, Männer, die schon mit so mancher karwan durch diese Lande gezogen waren, belegten Berge, durch die wir uns gerade hindurchquälten, mit allen möglichen Namen: Hindu-Kush, Himalaya, Karakorum und so weiter. Ich kann bezeugen, daß es dort in der Tat genug einzelne Berge und ganze Bergzüge, ja, ganze Völker von Bergen gab, um alle möglichen Bezeichnungen zu rechtfertigen. Doch um unseres Kartenzeichnens willen fragten wir unsere Chola-Gefährten, ob sie uns über die ganze Angelegenheit aufklären könnten. Sie hörten zu, als wir all die uns genannten Namen wiederholten, und dann höhnten sie keineswegs über die Menschen, die sie uns genannt hatten - denn kein Mensch, so bestätigten sie, könne genau sagen, wo eine Bergkette und ein Name dafür aufhörten und wo eine andere beginne.
    Doch um möglichst genau zu bestimmen, wo wir uns befänden, sagten sie, im Augenblick zögen wir durch das Pai-Mir genannte Hochland gen Norden; die Kette des Hindu-Kush hätten wir im Südwesten hinter uns gelassen und den Himalaya irgendwo weit in der Ferne im Südosten. Bei den anderen Namen, die wir gehört hatten -die Bewahrer, die Herren, Salomons Thron -, sagten die Chola, handele es sich vermutlich um lokale Bezeichnungen aus der engeren Umgebung, gegeben und benutzt nur von den Menschen, die zwischen den verschiedenen Gebirgszügen lebten. Infolgedessen trugen mein Vater und mein Onkel die Namen entsprechend in den Karten des Kitab ein. Für mich sah ein Berg aus wie der andere: hochragende Klippen, schartige Felsen, schwindelerregende Abgründe und das heruntergebrochene Gestein der Geröllhalden. Alles Gestein wäre eintönig grau, braun oder schwarz gewesen, hätte es nicht unter einer dicken Schneedecke begraben dagelegen und wäre es nicht von Eiszapfen geschmückt gewesen. Meiner Meinung nach hätte der Name Himalaya -Wohnstatt des Schnees -genausogut auf jede andere Bergkette in der Fernen Tatarei gepaßt.
    Doch trotz aller Ödnis und trotz des Fehlens lebhafterer Farben handelte es sich um die großartigste Landschaft, durch die ich auf meinen Reisen je gekommen bin. Unbekümmert ob uns wenigen Unruhegeistern, diesen winzigen Insekten, die sich da den Weg über ihre mächtigen Hänge suchten, ragten die Berge des Pai-Mir majestätisch und unerschütterlich fest in
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