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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1
Autoren: Gary Jennings
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nachdachte, daß sie ihr ganzes Meersalz so weit in ein Land geschafft hatten, das selbst über ein riesiges Salzmeer verfügte.
    Doch wir kosteten das Wasser, und es war frisch und süß und kristallklar. Also handelte es sich um einen See, doch das war nicht wesentlich weniger erstaunlich -vor einem solchen riesigen und tiefen See zu stehen, der sich gleichsam alpenhoch über der Hauptmasse der Erde erstreckte! Bei unserem Weg in den Norden zogen wir am Ostufer entlang, und es dauerte viele Tage, ehe wir ihn hinter uns lassen konnten. An jedem dieser Tage fanden wir einen Vorwand, warum wir gerade heute so früh das Lager aufschlagen mußten
    -um zu baden, hinauszuwaten und in diesem balsamischen, blitzenden Wasser herumzutollen. Wir stießen auf keine Stadt an diesen Gestaden, sondern nur auf die Lehmziegel-und Bretterhütten tazhikischer Schäfer, Holzfäller und Köhler. Diese verrieten uns, daß der See Karakul genannt wurde, was soviel bedeutet wie Schwarzes Vlies - und gleichzeitig auch der Name jener Schafe ist, die von allen Schäfern dieser Gegend
    gezüchtet wurden. Das war noch etwas Merkwürdiges an diesem See: daß er den Namen eines Tieres trug; wenngleich es sich, wie man zugeben muß, nicht gerade um ein gewöhnliches Tier handelt. Sieht man sich eine Herde dieser Schafe genau an, fragt man sich, warum sie eigentlich kara -schwarz -genannt werden, denn alle ausgewachsenen Böcke und Mutterschafe tragen überwiegend ein graues bis grauweißes Wollkleid; nur wenige von ihnen sind ganz schwarz. Die Erklärung liegt in dem kostbaren Pelz, um dessentwillen die Karakulschafe berühmt sind; denn dieser aus äußerst dichten und filzigen tiefschwarzen Locken bestehende Pelz ist nicht nur das Endergebnis einer Schafschur dicht über der Haut. Es handelt sich vielmehr um das Fell des Lammes. Alle Kara-kullämmer kommen schwarz auf die Welt, und den Pelz gewinnt man dadurch, daß die Lämmer geschlachtet und ihnen das Fell abgezogen wird, ehe sie drei Tage alt sind. Wartet man auch nur einen Tag länger, verliert die reinschwarze Farbe einiges von ihrer Intensität, und kein Pelzhändler akzeptiert es als Karakul.
    Eine Wochenreise nördlich des Sees stießen wir auf einen von Westen nach Osten fließenden Fluß. Die einheimischen Tazhiken nannten ihn Kek-Su oder Passagenfluß, ein höchst zutreffender Name, denn das breite Strombett stellte in der Tat eine klare Passage durch das Gebirge dar, der wir auch mit Freuden nach Osten folgten. Selbst unsere Pferde waren froh über das leichtere Weiterkommen; das felsige Hochgebirge hatte ihre Bäuche und ihre Hufe arg mitgenommen; hier unten gab es reichlich Gras zum Fressen, und sie trabten über weichen Boden. Sonderbarerweise fragten mein Vater oder mein Onkel in jedem einzelnen Dorf, ja sogar bei jeder allein stehenden Hütte erneut nach, wie der Fluß denn nun heiße, und jedesmal lautete die Antwort Kek-Su. Nasenloch und ich wunderten uns, warum sie sich immer aufs neue erkundigten, doch sie lachten nur über unsere Verwirrung und wollten nicht erklären, warum sie so vieler Versicherungen bedurften, als wir dem Passagenfluß folgten. Dann, eines Tages, stießen wir auf das sechste oder siebte Dorf im Tal, und als mein Vater einen Mann dort fragte: »Wie nennt Ihr den Fluß?« erwiderte der Mann höflich: »Ko-tzu.«
    Der Fluß aber war derselbe wie gestern auch, auch das Gelände unterschied sich in nichts von dem gestern, und der Mann sah genauso yakähnlich aus wie jeder andere Tazhike; trotzdem hatte er den Namen anders ausgesprochen. Mein Vater drehte sich im Sattel um und rief meinem Onkel, der ein wenig hinter ihm ritt, mit triumphierender Stimme zu: »Wir sind da!« Dann saß er ab, hob eine Handvoll gelblicher Ackerkrume in die Höhe und betrachtete sie geradezu liebevoll.
    »Wo sind wir angekommen?« fragte ich. »Ich verstehe nicht.« »Der Name des Flusses ist derselbe: die Passage«, erklärte mein Vater. »Aber dieser Bursche hat ihn in der Han-Sprache genannt. Wir haben die Grenze Tazhikistans hinter uns. Dies hier ist eine Strecke der Seidenstraße, über die dein Onkel und
    ich in den Westen heimgekehrt sind. Die Stadt Kashgar kann nur noch zwei Tagereisen weit vor uns liegen.« »Wir befinden uns also jetzt in der Provinz Sin-kiang«, sagte
    Onkel Mafio, der inzwischen herangeritten war. »Früher war das eine Provinz des Chin-Reiches, doch jetzt gehört Sin-kiang und alles östlich von hier zum Mongolenreich. Neffe Marco, endlich befindest
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