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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1
Autoren: Gary Jennings
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junge Dame Frühling ihren Einzug gehalten hatte -, um bald darauf wieder in Höhen hinaufzusteigen, die immer noch der alte Winter in seiner Gewalt hatte. So mühten wir uns abwechselnd durch den Schnee oben und patschten unten durch den Schlamm; halb vom Hagelsturm oben erfroren, halb von einem wirbelnden Staubteufel unten erstickt. Doch je weiter wir nach Norden vorankamen, desto häufiger sahen wir auf den schmalen Talgründen kleine Flecken lebendigen Grüns zerspellte Sträucher und spärliches Gras, dann kleine und schüchterne Weideflächen, gelegentlich sogar einen ausschlagenden Baum, dann ganze Haine davon. Die bruchstückhaft grünen Bereiche nahmen sich neu und fremd aus, wie sie unter dem Schneeweiß, dem Tiefschwarz und Rehbraun der Höhen auftauchten; man hätte meinen können, sie seien mit Scheren aus anderen fernen Ländern ausgeschnitten und auf unerklärliche Weise in dieser ödnis verstreut worden.
    Noch weiter im Norden rückten die Berge weiter auseinander, gab es entsprechend breitere und grünere Täler, und das Gelände war um seiner Gegensätze willen nur um so bemerkenswerter. Vor dem kaltweißen Hintergrund der Berge schimmerten Hunderte von verschiedenen Grüntönen, die sämtlich sonnenwarm wirkten -ausladende dunkelgrüne Zedrachbäume, blaßsilbergrüne Robinien oder Scheinakazien, hohe schlanke Pappeln, die wie grüngefiedert wirkten, Espen, die zitternd ihr Laub von der grünen auf die perlgraue Seite wendeten. Und unter und zwischen den Bäumen glühten hundert verschiedene andere Farben -die leuchtendgelben Blütenkelche einer tulband genannten Blumenart, das leuchtende Rot und Rosa wilder Rosen, das strahlende Lila eines Strauches, der lilac genannt wurde. Hochwachsende Sträucher sind das, und die lila Blütentrauben nahmen sich um so lebhafter aus, als wir sie zumeist von unten vorm kräftigweißen Schneehintergrund sahen. Und der Duft dieser Blütendolden - einer der köstlichsten Düfte überhaupt -roch um so süßer, als er von dem absolut geruchlosen und sterilen Wind von den Schneefeldern herangetragen wurde.
    In einem dieser Täler stießen wir seit Verlassen des Ab-e-Panj auf den ersten Fluß, und der hieß Murghab. Die Stadt gleichen Namens lag an seinem Ufer. Wir nahmen die Gelegenheit wahr, zwei Nächte in einer karwansarai dort zu verbringen, zu baden und unsere Kleider im Fluß zu waschen. Dann sagten wir den Chola Lebewohl und zogen weiter gen Norden. Ich hoffte, daß Talvar und seine Gefährten viele Münzen für ihr Meersalz bekamen, denn wesentlich anderes hatte Murghab nicht zu bieten. Es war eine ärmliche Stadt, und ihre tazhikischen Einwohner zeichneten sich eigentlich nur durch die ungewöhnliche Ähnlichkeit mit ihren Mitbewohnern, den Yaks, aus; Männer wie Frauen waren gleichermaßen stark behaart, rochen, hatten breite Gesichter und mächtige Brustkästen und waren in ihrer Trägheit und ihrer mangelnden Neugier wirklich wie die Kühe. In Murghab gab es nichts, was uns zum Verweilen eingeladen hätte; so sollten auch die Chola die Stadt bald wieder verlassen, denn es gab hier nichts, worauf sie sich hätten freuen können, nur die scheußliche Rückreise durch das Hochland von Pai-Mir und dann noch durch ganz Indien.
    Unsere eigene Weiterreise von Murghab aus war nicht allzu anstrengend, denn mittlerweile waren wir die Mühsal des Hochgebirges ja gewohnt. Außerdem erwiesen sich die Bergzüge weiter im Norden als nicht ganz so hoch und winterlich wie die bisher bewältigten, ihre Hänge als nicht ganz so steil und der Aufstieg bis zu den jeweiligen Pässen nicht so lang, die dazwischenliegenden Täler waren breit, Blumen blühten im Grün, und sie waren höchst angenehm. Den Berechnungen mit unserem kamal zufolge waren wir längst weiter in den Norden Zentralasiens vorgestoßen, als Alexander jemals gekommen war, und unserem Kitab zufolge befanden wir uns ziemlich genau in der Mitte der größten Landmasse der Erde. Wer beschreibt daher unser Erstaunen und unsere Verblüffung, als wir eines Tages an das Ufer eines Meeres gelangten. Vom Ufer, wo die kleinen Wellen die Fesseln unserer Pferde umspülten, erstreckte sich das Wasser so weit das Auge reichte nach Westen. Selbstverständlich wußten wir, daß es in Innerasien ein gewaltiges Binnenmeer gibt, das Ghelan oder Kaspisches Meer genannt wurde, doch mußten wir uns weit, weit östlich davon befinden. Momentanes Mitleid mit unseren bisherigen Reisegefährten, den Chola, befiel mich, als ich darüber
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