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Marathon

Marathon

Titel: Marathon
Autoren: Helmut Frangenberg
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bis sie sich nicht mehr bewegten. Eine, die der Täter
vor zwei Wochen verschleppt hatte, schwebte immer noch in
Lebensgefahr. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis eine der
Prostituierten an den Folgen der Misshandlungen sterben
würde.
    »Wir können
da nicht viel mehr machen«, sagte Remmer ruhig, während
sie sich streckte. »Alle sind gewarnt. Wir haben ein gutes
Phantombild, einige haben ihn wiedererkannt. Du wirst sehen, das
Problem wird sich fast von allein lösen.«
    Sie suchte ihre Schuhe
unterm Schreibtisch und zog sie an. Ohne Schuhe könne sie
besser nachdenken, hatte sie Gröber mal erklärt. Aber
hier gab es aus ihrer Sicht wohl nicht mehr viel nachzudenken.
»Lass uns nach Hause gehen, Bernd.«
    »Hast du noch
was vor?«, fragte Gröber spitz, und während
er die Frage
aussprach, ärgerte er sich schon über sich selbst. Weil
er nicht streiten wollte, versuchte er sich zu beruhigen.
Wahrscheinlich hatte sie ja Recht. Was sollten sie noch tun? Noch
bevor sie auf seine Frage reagieren konnte, änderte er den
Tonfall.
    »Gehen wir noch
was trinken?«
    Er erwartete nicht
wirklich, dass Remmer den Vorschlag annehmen würde. Seine
Kollegin hatte in aller Regel Besseres vor, als sich mit ihm in
eine Kneipe zu setzen. Mit dem Sohn ins Theater, Besuch von
Freunden, ein Essen mit dem Pathologen, irgendwas hielt sie immer
auf Trab. Remmer war nicht nur Schuhsammlerin, sondern auch eine
Meisterin des sinnvollen Zeitvertreibs. Es wunderte Gröber
nicht, dass Leute, die sie beide nicht näher kannten, den
Altersunterschied von fast zehn Jahren nicht bemerkten. Sein Neid
hielt sich in Grenzen, scheute er doch die Anstrengungen und
Mühen, die nötig waren, um so entspannt und optimistisch
wie seine Chefin durchs Leben zu gehen. Die Vorstellung zum
Beispiel, mit einer Pathologin in ein Restaurant gehen zu
müssen, erfüllte ihn trotz der Aussicht auf manche
Überraschung zu nächtlicher Stunde mit Grauen. Nicht weil
ihm die Kollegin, die mit Remmers gelegentlichem Tischnachbarn
Leichen aufschnibbeln musste, missfiel, sondern weil er nicht
wusste, worüber er sich im Restaurant mit ihr drei Stunden
unterhalten
sollte.          
    Remmer reagierte weder
auf die erste noch auf seine zweite Frage. »Morgen ist ein
neuer Tag«, sagte sie gewöhnlich zum Abschied, doch
diesmal kam sie nicht dazu.
    Das Telefon klingelte.
Remmer nahm ab und hörte wortlos zu.
    »Vergiss das
Bier«, sagte sie, nachdem sie den Hörer wieder aufgelegt
hatte. »Da hat ein Vollidiot am Chlodwigplatz die
Baustelleneinfahrt blockiert.«
    Sie stand auf, strich
sich den knielangen Rock glatt, schnappte sich ihren weiten
schwarzen Mantel sowie ihr buntes Halstuch und marschierte ohne
weitere Erklärungen Richtung Aufzug.
    »Immer derselbe
Zirkus«, sagte Gröber, zog seine Jacke von der
Stuhllehne und musste fast rennen, um sie einzuholen. Nachfragen
waren überflüssig. Remmer pflegte ihn stets erst
während der Fahrt zum Tatort einzuweihen. Immerhin kannte
er diesmal
schon das Ziel der Fahrt: eine Baustelleneinfahrt in der
Südstadt.

3
    »Scheiß
Baustelle«, stöhnte Remmer. »Ganz Köln ist
eine einzige Baustelle. Überall Löcher, überall
Bauzäune, nirgends Parkplätze.«
    Überall in der
Stadt wurden für die neue U-Bahn riesige Löcher in die
Erde gebuddelt. Auch unter der Bonner Straße sollte die neue
Nord-Süd-Verbindung verlaufen, die sich Stadt, Land und Bund
eine halbe Milliarde Euro kosten ließen. Die Bauarbeiten
hatten gerade erst begonnen, und schon waren sich alle Kölner
einig, dass man es doch besser gelassen hätte. »Was
hätte man von dem Geld in dieser Stadt doch alles bezahlen
können?«, pflegte Iris Remmer in der Regel bei ihren
gemeinsamen Autofahrten durch die Großbaustelle zu fragen.
Eine Antwort erwartete sie nicht. 
    Als die beiden sich
durch den Verkehr am Chlodwigplatz gequält hatten und in die
Bonner Straße eingebogen waren, blockierte bereits ein
mächtiger Menschenauflauf Fahrbahn und Bürgersteig. Das
rot-weiße Absperrband der Polizei war am Bauzaun befestigt
und flatterte um die ebenfalls rot-weiß gestreiften
Fahrbahnmarkierungen, die den Verkehr über eine enge Fahrspur
an Baufahrzeugen, einem kleinen Bagger und einem riesigen Stapel
Stahlrammen vorbeilotsten. Ein Bus der Kölner
Verkehrs-Betriebe bahnte sich den Weg durch die Menschenmenge
Richtung Severinstorburg. Das Wahrzeichen der Kölner
Südstadt wurde verdeckt von einem großen gelben Silo.
Eines der schönsten Fleckchen der Kölner
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