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Marathon

Marathon

Titel: Marathon
Autoren: Helmut Frangenberg
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Silber. Sehr schick. Er passte
nicht hundertprozentig in diese rot-weiße Wohnwelt, die sich
Vosskamp da aus einer »Schöner Wohnen«-Zeitschrift
abgeguckt hatte. Auf der Regalkombination vor der rot gestrichenen
Wand stand allerlei nutzloses Zeug. Eine seltsame Maske zierte die
Ablage - nachgemachte afrikanische Volkskunst als Deko im
Wohnzimmer eines stilsicheren Enddreißigers. Die Bücher
im Regal schienen dort zu stehen, weil ihr Einband farblich zu
künstlichen roten Äpfeln auf braunen Intarsientellern
passte.
    »Dreck«,
murmelte er. »Und nichts mehr wert.«
    Mit einer ausladenden
Armbewegung wischte er den Schnickschnack vom
Regalbrett.
    »Schluss mit der
Extravaganz.«
    Eine kleine
weiße Vase, in der wahrscheinlich nie eine Blume gesteckt
hatte, zerbrach vor der rot-braunen schicken Liege in hundert
Stücke. Die kleine weiße, wahrscheinlich furchtbar teure
Tischlampe schmiss er hinterher. Scherbengericht.
    Er musterte den Raum.
Warmes Rot traf auf strahlendes Weiß.
    »So wohnt
eigentlich kein Mann«, murmelte er vor sich hin. »Aber
der Mensch hat das Recht zu leben, wie er will.«
    Die Wand
gegenüber war hellweiß getüncht. Andere hätten
da ein Bild aufgehängt, irgendwas, was zum Ambiente passt.
Ausgesuchte Kunst zum kleinen Preis. Hauptsache, die Farbe stimmte.
Doch hier war die Wand ganz kahl.
    Er ging langsam auf
das große rote Kanapee zu, das vor der kahlen Wand zum
stundenlangen Fernsehen im flauschigen Plüsch einlud. Er entschied,
das Zimmer um eine weitere Extravaganz zu bereichern.
    »Rot und
Weiß bringen Klarheit«, sagte er lächelnd,
während er Zeige- und Mittelfinger in die offene Wunde
hineinbohrte. »Die grafische Wirkung ist
bestechend.«
    Die schwarzen
Handschuhfinger färbten sich tiefrot. Er musste sich ein wenig
strecken, um der weißen Wand den Farbtupfer zu verpassen, der
sich glänzend in die Gestaltung dieses Raumes einfügen
sollte. Raumschmuckstück. Er griff mehrmals in die Wunde im
Hals des Mannes, der tot auf seinem Kanapee lag, um die Zahl so
nachzuziehen, dass sie nicht wie ein lieblos hingekritzeltes
Tafelbild aus der Schule aussah.
    Zum Abschied schaute
er Frank Vosskamp noch einmal tief in die weit aufgerissenen
Augen.
    »Na, mein
Freund. Wie geht es dir jetzt in deinem
Scheiß-Wohnzimmer?«, fragte er. »Hast du gelebt,
wie du wolltest? Hast du geliebt, wie du
wolltest?«
    Der Kopf hing ein
bisschen schief, und er überlegte kurz, ob er die Lage des
Toten korrigieren musste, damit er zumindest bis zum Abtransport in
die fein abgestimmte Innenarchitektur passte. Er ließ
es.
    »Halt dich nicht
mit Kleinigkeiten auf«, sagte er zu sich selbst. »Es
ist noch viel zu tun.«

2
    »Scheiß
der Hund drauf«, schnaufte Gröber, während Iris
Remmer scheinbar teilnahmslos aus dem Fenster schaute. »Haben
wir was vergessen? Irgendwas, was man noch tun
kann?«
    Remmer antwortete
nicht. Es war ohnehin eine rhetorische Frage. Viel mehr konnte man
nicht tun. Alle waren informiert, alle in Alarmbereitschaft, um
diesen Irren zu schnappen, der sich in den letzten Tagen immer
wieder an Prostituierte herangemacht hatte und nun auch auf dem
Kölner Hausfrauenstrich am Bonner Verteiler gesichtet worden
war.
    »Eigentlich
müssten wir allen Wanzen ankleben. Allen.«
    Remmer schaute auf.
»Wohin willst du Wanzen kleben?«
    »Ja, an die
Nutten.«
    »Hab ich
verstanden. Und wohin da genau?«
    Gröber warf sich
auf seinen Stuhl.
    »Sehr lustig,
alte Frau«, murmelte er.
    Remmer lächelte.
Sie strich eine Strähne ihrer rotbraunen Haare glatt
zurück, die sie in einem Zopf zusammengebunden
hatte.
    »Du langweilst
dich, stimmt's?«
    Gröber
überhörte die Frage.
    »Du denkst, du
verplemperst deine kostbare Zeit. Fahr doch raus zum Bonner
Verteiler, setz dich in dein Auto und pass auf die Damen auf. Oder
fahr einfach nach Hause.«
    Gröber hasste es,
wenn Remmer ihre ganze Routine abschätzig zur Schau trug.
Offensichtlich nichts konnte seine Chefin aus der Ruhe bringen,
wenn sie da ohne Schuhe an seinem Schreibtisch saß, ihre
langen Beine ausgestreckt, ein abfälliges Lächeln auf den
mit dezentem Rot angemalten Lippen. Das waren die Momente, wo
Gröber die Wände hochgehen konnte, weil sie ihm mit
Augenaufschlägen und ein paar anderen beiläufigen Gesten
ihre Überlegenheit demonstrierte.
    Er fand seine Unruhe
durchaus angemessen. Schließlich schlich da ein Mann
über die Straßenstriche entlang des Rheins, nahm
Prostituierte mit, misshandelte sie und schlug sie hinterher so
lange,
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