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Marathon

Marathon

Titel: Marathon
Autoren: Helmut Frangenberg
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Innenstadt war
in einem lauten, stinkenden und hässlichen Chaos
versunken.
    Sie wendete über
die durchgezogene Linie, die die Fahrspuren trennte, hupte dreimal
und fuhr schnurgerade auf die Schaulustigen zu. Die Menschen
machten nur widerwillig Platz. Remmer parkte unterm
Absperrband.
    »Hier darf man
nicht stehen«, meinte ein älterer Mann aus der Menge
rufen zu müssen.
    »Genau!«,
rief Remmer. »Machen Sie, dass Sie wegkommen. Hier gibt's
nichts zu sehen.«
    Das war zweifellos
untertrieben, denn im Kofferraum eines alten Citroens, der da die
Baustellenausfahrt zuparkte, lag ein toter Mann. Das Auto ohne
Nummernschild war zwischen Bauzaun, Fahrbahnmarkierungen und einem
großen Baustellenschild abgestellt worden. Auf dem Schild
standen die Namen der Firmen, die einen Teil des Millionen-Kuchens
abbekommen hatten.
    Remmer schob den
Kollegen der Schutzpolizei zur Seite, der regungslos in den
Kofferraum starrte. Die Spurensicherung war schon da und
untersuchte das Innere des Wagens.
    »Das sieht
schlimm aus«, murmelte ein Schutzpolizist.
    In dem Kofferraum lag
wie zusammengekauert ein Mann mit weit aufgerissenen Augen. Eine
blutleere Mumie, die Arme und Beine wie ein schlafendes Kleinkind
angewinkelt. Remmer ging in die Hocke, um dem Toten in die leeren
Augen zu sehen.
    Sie kämpfte gegen
dieses immer gleiche Unwohlsein, das sie auch nach über
fünfundzwanzig Jahren in diesem Job immer noch empfand, wenn
sie eine Leiche inspizierten. Sie war ein bisschen stolz
darauf.
    »So sieht keiner
aus, der sich gegen seinen Tod wehrt. Dreht ihn mal
um.«
    Zwei Polizisten
griffen unter den Leichnam und drehten ihn langsam trotz des
beengten Raumes auf den Rücken. Die Leichenstarre war lange
eingetreten, sodass der Tote nun in einer aberwitzigen Haltung vor
ihnen lag. Gröber hatte sich Handschuhe angezogen, beugte sich
in den Kofferraum und fasste vorsichtig mit beiden Händen den
Kopf des Toten, um ihn leicht anzuheben. Der Mann hatte eine
faustdicke Wunde im Hals. Es sah aus, als hätte ihm jemand ein
Stück Fleisch aus dem Hals geschnitten.
    »Hat jemand eine
Ahnung, wer das ist?«, fragte Remmer, ohne eine Antwort zu
bekommen.
    Der Tote trug keine
Jacke, in der man irgendwelche Ausweispapiere hätte finden
können. Er war mit einer Jeans und einem weißen T-Shirt
bekleidet, etwas luftig für die Temperaturen, die zurzeit
herrschten.
    »Das Auto ist
völlig leer. Keine Papiere, keine Hinweise. Nichts«,
sagte Thomas Berger von der Spurensicherung. »Lasst es uns
abschleppen und den Rest bei uns in der Halle
machen.«
    »Okay«,
grummelte Remmer. »Wer hat den Toten
gefunden?«
    Der Schutzpolizist
zeigte auf einen Bauarbeiter, der hinter dem Zaun
wartete.
    »Er sagt, er
habe den Bagger wegfahren müssen. Weil der Citroën im Weg
stand, hat er sich den Wagen angesehen und bemerkt, dass er keine
Nummernschilder hat. Er hat probiert, ob sich ein Schloss
öffnen lässt. Die Türen waren zu, aber der
Kofferraum nicht. Wollen Sie mit ihm sprechen?«
    Remmer schüttelte
den Kopf. »Heute nicht mehr.«
    Sie ließ
Gröber und die anderen Kollegen allein am Fundort und ging auf
die andere Straßenseite. Ein Optiker hatte sein ganzes
Schaufenster voll Stroh gekippt, um anschließend Brillen auf
dem Heu zu drapieren.
    Sehr originell, dachte
sie.
    Schaufenster gucken
war für sie nicht nur Entspannung und Ablenkung. So konnte man
etwas über die Welt lernen. Wer aufmerksam durch die
Einkaufsstraßen geht, bekommt ein Gespür für Trends
und Stimmungen.
    Der Beginn der Bonner
Straße präsentierte aus ihrer Sicht ein für die
Stadt sehr ungewöhnliches Einzelhandelsangebot. Die Brillen
auf Stroh befanden sich neben dem Schaufenster eines
Tapetengeschäfts. Die Auslagen sahen aus, als wenn der
Besitzer schon seit hundert Jahren erfolgreich gegen die
Baumarkt-Konkurrenz kämpfen würde.
    Im Schaufenster
spiegelte sich Gröber, der sich einen Weg über die
Straße suchte. Der Autoverkehr kroch nur noch zentimeterweise
und hupend vorwärts. Vergilbte bunte Tapeten und
hässliche Gardinen für die Südstadt.
    »Erstaunlich,
dass man da heute noch von leben kann.« Sie wies ihren
Kollegen auf den Exoten des Kölner Einzelhandels hin, als er
endlich neben ihr stand. Der Laden war nicht das Einzige in diesem
Viertel der Stadt, das wenig mit den mondänen Einkaufsmeilen
in der City gemein hatte. Hier schienen die Uhren noch anders zu ticken, doch
man konnte ahnen, dass sich das Gesicht des Viertels schon bald
verändern würde. Wie ein
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