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Marathon

Marathon

Titel: Marathon
Autoren: Helmut Frangenberg
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fünfzig Meter.

67
    Gröber warf sich
mit der letzten Kraft, die er nach seinem Spurt über acht
Etagen noch hatte, gegen die verschlossene Stahltür. So kurz vor dem Ziel
durfte er nicht nachlassen. Nach einem weiteren Anlauf sprang die
Tür aus dem Schloss. Der kalte Wind, der um den Rohbau des
neuen Turms fegte, wehte ihm ins Gesicht. Es dauerte, bis er
Orientierung fand. Er zog seine Pistole und drehte sich um. Da lag
er. Gut dreißig Meter von ihm entfernt. Ein Mann mit einem
großen Gewehr, den Kopf an die Waffe gepresst, bereit, jeden
Moment abzudrücken. Gröber ging mit schnellem Schritt auf
den Mann los, der ihn nicht sehen konnte. »Polizei. Geben Sie
auf!«
    Doch der Wind
verhinderte offenbar, dass der Mann ihn hören konnte. Er
würde dem Scharfschützen den zitternden Lauf seiner
Dienstwaffe in den Nacken drücken müssen, um ihn zu
überwältigen. Er konnte nicht sehen, wie Asis Kusnezow
den Abzug betätigte, wie sich der Schuss aus der
Präzisionswaffe löste. Es war nicht mehr als eine winzige
Bewegung des rechten Zeigefingers.

68
    Remmer sah, wie
Gassmann die Arme in die Höhe reckte und den Kopf in den
Nacken warf. Nicht wie jemand, der sich über den Einlauf ins
Ziel freute, sondern wie ein Mann, der etwas Ersehntes in Empfang
nehmen wollte. Remmer sprang, donnerte Gassmann beide Hände
mit der Faust in den Rücken, bevor sie schmerzhaft mit dem
Gesicht auf die Straße knallte. Gassmann knickte nach vorne
ein, als hätte ihm einer vor beide Schienbeine getreten. Auch
er stürzte zu Boden. Sie hörte Schreie. Ein Läufer
trat ihr auf den Oberschenkel, während sie sich zur Seite
rollte. Mit einem weiteren Satz warf sie sich auf Gassmann, griff
in seine Haare und knallte seinen Kopf auf den Asphalt. Sie
spürte, wie sein Körper unter ihr bebte. Blut lief ihm
aus der Nase über die Wange. Die Schritte der vorbeirennenden
Läufer dröhnten in ihrem Kopf. Unter ihr lag Ingo
Gassmann in der Gosse. Er atmete, Ingo Gassmann lebte.
    »Lass uns deinen
Fall aufklären«, lallte der griese Rainer, während
er vom Klo zurücktorkelte.
    »Hier gehst du
also ein und aus?«, fragte Remmer, während sie eine neue
Runde Bier bestellte. »Es gibt so viele schöne Kneipen
in Köln, und du sitzt in dieser Kaschämm und trinkst
Kölsch mit Leuten wie diesem Rainer.«
    Was sie sagte, sollte
abschätzig klingen, doch Gröber war sich ganz sicher,
dass es seiner Chefin in dieser Kaschämm tatsächlich ganz
gut gefiel. Es gab eben Abende im Leben, wo einem nicht nach feinen
Lokalen, Reibekuchen mit Lachs oder marinierten Lammscheiben oder
Wein trinkenden Pathologen zumute war. Dies war ein solcher Abend,
ein Abend für Kölsch, viel Kölsch und Frikadellen.
Gröbers Deckel war schon zur Hälfte rund, und doch
entging ihm nicht, dass seine Chefin nun endlich das Lächeln
des Mannes am anderen Ende des Tresens erwiderte, der sich da, nur
scheinbar in wichtige Gespräche verstrickt, seit einer Stunde
bemühte, zu ihr Kontakt aufzunehmen.
    »Was geschieht
mit dem Russen?«, fragte Gröber.
    Remmer leerte ihr
Bierglas. »Keine Ahnung, wer dem irgendwas beweisen will. Er
hat nichts gesagt. Keiner weiß, wie viele Leute er schon auf
dem Gewissen hat.«
    »Wenn er
überhaupt so etwas hat wie ein Gewissen«, meinte
Gröber und schob Rainer eines der frisch gezapften Biere
rüber.
    »Gassmann hat
gestanden, dass er einen Killer engagiert hat. Monatelang hatte er
diesen schwierigen Kontakt über einen Mittelsmann aufgebaut
und den Geldtransfer für den Killer vorbereitet, der ihn auf
der Ziellinie erschießen sollte. Da, wo es alle sehen
sollten. Eine selbst angeordnete öffentliche Hinrichtung
sozusagen, am Ende seines letzten Marathons. Der letzte Teil des
Versprechens, das er Randberg gegeben hatte.«
    »Das hatte Stil,
oder? Und wir haben's vermasselt. Alles umsonst. Das Leben hat ihn
wieder. Jetzt muss der selbstgerechte Richter vor einen echten
Richter.«
    »Ist doch
eigentlich gut, wenn sich ein Mörder am Ende selbst abknallt,
oder nicht?«, versuchte Rainer einen Beitrag zum
Gespräch zu leisten.
    »Das sehe ich
anders«, antwortete Remmer. »Und?«, fragte sie
unvermittelt. »Weißt du jetzt, wie du deinen
vierzigsten Geburtstag feiern wirst?«
    »Ja. Ich habe
mir da was überlegt. Ich werde …« Er hob sein
Kölschglas gegen das Licht und tat so, als wenn er das
kölsche Reinheitsgebot prüfen wollte. »Ich werde
ein paar nette Leute in diese Kneipe einladen und ein paar Runden
spendieren.«
    »Eine
großartige Idee.«
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