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Marathon

Marathon

Titel: Marathon
Autoren: Helmut Frangenberg
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Nacken gelegt und starrte an die
Wagendecke. Remmer konnte nicht einschätzen, wie viel Kraft in
diesem verletzten Mann tatsächlich noch steckte. Was
würde er tun, wenn sie ihn nicht daran hindern würde, aus
dem Wagen zu steigen?
    »Warum haben Sie
da im Ziel gestanden? Wollten Sie zuschauen, wenn Gassmann ins Ziel
läuft? Was sollte da passieren?«
    Randbergs Unterlippe
zitterte. Seine Hand lag auf dem Türgriff. Er schien
wütend. Ein Fluchtversuch hätte Remmer gepasst. Sie
hätte ihn härter anpacken können.
    »Haben Sie
jemanden engagiert, der die Drecksarbeit für Sie machen
soll?«
    Remmer packte ihn fest
am verletzten Arm und drückte zu. Randberg ließ sich
keinen Schmerz anmerken.
    »Wo ist der
Mann, der das für Sie machen soll? Was haben Sie ihm
bezahlt?«, brüllte sie. Der junge Polizist auf dem
Fahrersitz sah sie fragend an, während Randberg weiter an die
Decke sah.
    »Holen Sie
Verstärkung!«, gab sie ratlos Anweisungen. »Sagen
Sie, dass da irgendwo unser dreifacher Mörder im Zielbereich
herumsteht, um sein viertes Opfer umzulegen. Wir müssen das
hier irgendwie absperren, uns unter die Leute mischen. Keine
Ahnung. Fragen Sie nach Chrischilles. Die wird das
organisieren.«
    Der Polizist nahm
seine Mütze und verließ ohne ein weiteres Wort den
Wagen. Draußen begann er, in sein Funkgerät zu sprechen.
Remmer lockerte ihren Griff. So kam sie nicht weiter. Sie
versuchte, sich zu beruhigen.
    »Ich werde jetzt
Ihre Frau anrufen und ihr erzählen, was Sie in den letzten
Tagen so gemacht haben, Herr Randberg. Vielleicht möchten Sie
dann auch noch einmal mit ihr sprechen?«
    Sie zog ihr Handy aus
der Jackentasche und drückte auf die Wiederwahltaste. Es
ertönte ein Besetztzeichen.
    »Sie wird nicht
ewig telefonieren«, murmelte sie.
    Sie musste an die
Luft. Wütend kletterte sie aus dem Auto und knallte die
Wagentür zu. Für eine Kopfschmerztablette hätte sie
viel Geld bezahlt. Auch die Füße taten ihr
weh.

59
    Sehr bewusst nahm er
nun die applaudierende Masse am Streckenrand wahr. Er sah
lächelnde Gesichter, Menschen, die ihm Worte zuriefen,
anerkennendes Nicken. Ja, er spürte den Respekt, der ihm hier
entgegengebracht wurde. Applaus für Ingo Gassmann, der
Großes vollbracht, Dinge gerade gerückt, nicht nur geredet, sondern
angepackt hatte. Die Mitläufer waren für ihre Fehler
bestraft worden. Von ihm.
    Er hatte viel zu lange
gebraucht, um sein verpfuschtes Leben in Ordnung zu bringen, mit
dem Weglaufen aufzuhören und doch alles Profane hinter sich
lassen zu können. Er war Sinnlosem hinterhergerannt, und es
hatte gedauert, bis ihm das klar geworden war. Der Part, den er in
diesem großen Schauspiel übernommen hatte, war ohne
Bedeutung. Er war in seinem Büro genau wie im Bett mit seiner
Frau ersetzbar. Dieser permanente Drang, immer fit und bereit zu
sein, alles zu wissen und zu können, immer eine Antwort zu
haben, auch wenn man keine wusste.
    Es war jetzt
anderthalb Jahre her, dass er das erste Mal im Bett versagt hatte.
Er konnte sich genau an den Tag erinnern, an jedes einzelne Wort,
mit dem sie ihn zu trösten und aufzumuntern vorgegeben hatte.
Dabei war gar nichts Schlimmes passiert. Er war einfach nur mit den
Gedanken ganz woanders gewesen. Bei wichtigeren Dingen.
    Er hatte gefühlt,
wie ihm die Zeit wegrannte. Seine Zeit. Während seine Frau auf
ihn einredete, spürte er die Angst vor dem Tod. Er war
aufgestanden, hatte sich angezogen und das Haus verlassen. Das
hatte er nicht zum ersten Mal gemacht, doch diesmal hatte seine
Ruhelosigkeit ein Ziel. Als die Sonne aufging, stand er vor dem
großen Eingangstor des Melaten-Friedhofs. Er wartete, bis ein
Friedhofswärter das Tor aufschloss. Zunächst hatte er den
Mann nicht bemerkt, der mit ihm zusammen als Erster den Friedhof
betrat. Später erfuhr er, dass der Mann jeden Tag hierher kam.
Immer zur gleichen Zeit. Das Schicksal ließ ihn ein zweites
Mal mit Randys Vater zusammentreffen - diesmal an ihrem Grab. Als
sich ihre Blicke vor ihrem Grabstein trafen, änderte sich sein
Leben.
    Er hatte
Höllerbach, Vosskamp und Leuschen gesucht, sie in ihrer
kleinen Scheinwelt beobachtet, während seine Verachtung immer
größer wurde. Schließlich hatte er Leuschen
angesprochen, um mit ihm zu reden und mit ihm gemeinsam hinter die
Fassade zu schauen, die sich sein Freund aus alten Tagen aufgebaut
hatte. Nur wenige Worte genügten, um festzustellen, dass diese Fassade
für Leuschen längst kein Hilfsmittel mehr war. Er hatte
alles Vergangene
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