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Malory

Malory

Titel: Malory
Autoren: 02. Lodernde Leidenschaft
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mit geschürzten Röcken und in alten Reithosen, damit man sie im Mondlicht für Männer halten konnte. Wenn Roslynn ehrlich sein wollte, so mußte sie zugeben, daß auch ihr dieser Teil des Abenteuers viel Spaß gemacht hatte. Sie waren zur nächsten Stadt geritten, wo die bestellte Kutsche
    gewartet
    hatte; um
    ganz sicherzugehen, daß
    sie
    nicht
    verfolgt
    wurden,
    hatten
    sie
    dort
    noch
    mehrere
    Stunden ausgeharrt, bevor sie ihre Reise angetreten hatten. All diese Umstände waren notwendig gewesen, um Geordie
    Cameron
    auszutricksen.
    Zumindest
    hatte
    Groß-
    vater sie davon überzeugt, daß dieses Versteckspiel un-umgänglich war.
    Und Roslynn glaubte ihm, spätestens seit sie Geordies Gesicht
    gesehen
    hatte,
    als
    Großvaters
    Testament
    verle-
    sen wurde.
    Er war
    schließlich
    Duncan
    Camerons
    Großneffe,
    der
    Enkel seines jüngsten Bruders und sein einziger noch lebender
    männlicher
    Verwandter.
    Geordie
    konnte
    zu
    Recht hoffen, wenigstens einen kleinen Teil von Duncans Reichtümern zu erben. Aber Duncan hatte seinen gesamten Besitz der einzigen Enkelin - Roslynn - ver-macht: Cameron Hall, die Mühlen, die unzähligen anderen Geschäfte, alles. Und Geordie hatte nur mit größter Mühe seinen Zorn unterdrücken können.
    »Eigentlich hätte er doch darauf gefaßt sein müssen«, hatte Nettie gesagt, nachdem Geordie am Tag der Te-stamentsverlesung aufgebrochen war. Er wußte ja, daß Duncan ihn haßte, daß er ihm die Schuld am Tod deiner lieben Mutter gab. Nur deshalb hat der Bursche dir diese ganzen Jahre über so beharrlich den Hof gemacht. Ihm war klar, daß Duncan alles dir vermachen würde. Und deshalb dürfen wir jetzt, wo Duncan tot ist, auch keine Zeit verlieren.«
    Nein, sie hatten tatsächlich keine Zeit zu verlieren, das wußte auch Roslynn, als Geordie ihr nach der Testa-mentseröffnung
    erneut
    einen
    Heiratsantrag
    machte
    und
    sie ihn erneut abwies. Nettie und sie hatten Cameron Hall in der folgenden Nacht verlassen. Ihr war gar keine Zeit geblieben, um ihren Großvater zu betrauern oder zu bereuen, daß sie ihm ein solches Versprechen gegeben hatte. Aber im Grunde hatte sie schon die letzten zwei Monate um den alten Mann getrauert, in denen sie wuß-
    te, daß es um einen endgültigen Abschied ging. Und der Tod war für ihn wirklich eine Erlösung gewesen, denn er hatte sieben Jahre unter starken Schmerzen gelitten, und nur sein schottischer Eigensinn hatte ihn überhaupt so lange am Leben erhalten. Nein, sie mußte froh sein, daß Großvater endlich von seinen Qualen erlöst war. Aber wie sehr würde sie diesen geliebten alten Mann vermissen, der ihr Vater und Mutter ersetzt hatte!
    »Du sollst nicht um mich trauern, Mädelchen«, hatte er ihr einige Wochen vor seinem Tod erklärt. »Ich verbiete es dir. Du hast mir ohnehin schon zuviel kostbare Jahre deiner Jugend geschenkt. Wenn ich tot bin, darfst du keinen Tag mehr vergeuden, indem du mir nachtrauerst.
    Versprich es mir.«
    Und sie hatte ihm auch das versprochen, dem bis zuletzt um sie besorgten alten Mann, der sie aufgezogen, sie verwöhnt und zärtlich geliebt hatte, seit seine Tochter mit
    der
    sechsjährigen
    Roslynn
    zu
    ihm
    zurückgekehrt
    war. Was machte schon ein Versprechen mehr oder weniger aus, nachdem sie ihm jenes eine schicksalhafte gegeben hatte? Und dann hatte sie zum Trauern gar keine Zeit mehr gehabt und auf diese Weise ihr Versprechen gehalten.
    Nettie runzelte die Stirn, als sie Roslynn wieder geistesabwesend aus dem Fenster starren sah. Sie wußte, daß
    ihr
    Schützling
    an
    Duncan
    Cameron
    dachte,
    an
    ›Opa‹, wie sie ihn vom ersten Tag an respektlos genannt hatte - anfangs, um ihn zu ärgern. Welchen Spaß es der kleinen Göre immer gemacht hatte, den stolzen alten Schotten zu necken - und wie er ihre Neckereien und Streiche genossen hatte! Sie würden ihn beide sehr vermissen, aber im Augenblick mußten sie ihre Gedanken anderen Dingen zuwenden.
    »Da vorne ist endlich der Gasthof«, stellte Nettie, die in Fahrtrichtung saß, erleichtert fest.
    Roslynn beugte sich vor und spähte ebenfalls aus dem Fenster. Die untergehende Sonne fiel auf ihr Gesicht und ließ ihr Haar erglänzen. Schönes Haar hatte das Mädchen, rotgolden wie das ihrer Mutter Janet. Netties eigene Haare waren kohlrabenschwarz, ihre Augen dunkel-grün wie ein von großen Eichen überschatteter Teich.
    Roslynn hatte auch Janets Augen, grünlich-graue Augen mit auffallenden goldenen Tupfen. Sie hatte überhaupt große Ähnlichkeit
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