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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai
Autoren: Mirjam Pressler
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Schuld«, sagte Minna wütend. »Wenn wir damals mit Papa gefahren wären, wäre das alles nicht passiert.«
    »Halt den Mund«, fuhr die Mutter sie an.
    »Du weißt ja immer alles besser«, sagte Minna. »Ich kann mich noch genau erinnern, dass Papa damals gesagt hat …«
    »Es reicht, Minna«, unterbrach sie die Mutter. »Hör auf, sonst setzt es was.«
    Minna hörte die Drohung, sie biss die Lippen zusammen und senkte den Kopf.
    Schweigend gingen sie weiter. Die Sonne fiel schon schräg durch die Bäume. Malka hatte Hunger, außer dem Butterbrot bei Frau Sawkowicza hatte sie noch nichts gegessen. Sie dachte an Veronika, die jetzt vielleicht Milch trank und ein Stück Kuchen aß. Frau Schneider backte oft Kuchen, gelben Kuchen mit braunen Schokoladestückchen und Rosinen darin. Teekuchen nannte ihn Fräulein Lemberger. Kultivierte Leute essen ein Stück Kuchen zum Tee. »Wir haben Fräulein Lemberger nicht Bescheid gesagt, dass ich heute nicht zur Schule komme«, sagte sie laut. »Sie wird auf mich gewartet haben.«
    Ihre Mutter gab keine Antwort, sie schüttelte nur den Kopf, aber Minna sagte: »Darüber mach dir mal keine Sorgen, Fräulein Lemberger hat bestimmt nicht auf dich gewartet, vermutlich ist sie schon weggebracht worden.«
    »Wohin?«, fragte Malka.
    Weder ihre Mutter noch Minna antworteten ihr.
    Iwan hatte den Weg verlassen und führte sie quer durch einen Wald. Die Bäume standen so dicht, dass die Sonne nicht durch das Blätterdach drang. Aus dem Unterholz krochen Schatten und die Bäume drohten mit knorrigen Armen. Ihre Schritte klangen laut und dröhnend, obwohl sie doch über weichen Waldboden gingen, und in der Ferne war leises Donnern zu hören.
    Malka klammerte sich fester an die Hand ihrer Mutter. Sie war noch nicht oft um diese Tageszeit im Wald gewesen, vielleicht noch nie, und es gefiel ihr überhaupt nicht. Sie war müde, die Beine taten ihr weh, ihre Fußsohlen brannten und die Schnüre ihrer Holzsandalen schnitten in ihre Haut. »Mama, trag mich«, bettelte sie.
    Die Mutter hob sie hoch. Malka legte die Arme um ihren Hals und drückte das Gesicht an ihre Schulter, um nichts mehr zu sehen. Doch nach einer Weile blieb ihre Mutter stehen, setzte sie ab und sagte: »Ich kann nicht, Malka, du bist zu schwer, du musst laufen.« Sie hatten den Wald jetzt hinter sich gelassen, vor ihnen erstreckten sich Wiesen in sanften Wellen zum Tal hinunter. Hier war es auch heller als vorhin im Wald und die Baumwipfel unter ihnen hatten schon gelbliche und rötliche Herbstflecken.
    Die Mutter deutete auf eine Hütte, die weit entfernt auf einem flachen Hang stand und gerade noch zu erkennen war. »Dort gehen wir hin«, sagte sie. »Da wohnt eine Frau, die ich kenne, ihre Mutter war eine Patientin von mir. Bestimmt hilft sie uns weiter.«
    Sie hatte leise gesprochen, aber Iwan, der ein paar Meter vor ihnen herlief, hatte sie trotzdem gehört. Er blieb stehen. »Bis hierher, das reicht«, sagte er mürrisch und schob die Hände in die Hosentaschen. »Ich muss jetzt nach Hause, ich habe noch einen weiten Weg vor mir.« Er zog eine Hand wieder aus der Tasche und deutete auf die Berge jenseits des breiten Tals. »Dahinter irgendwo ist die Grenze. Wenn ihr hier übernachtet, könnt ihr es morgen vielleicht schaffen.« Er drehte sich um und war bald im Schatten zwischen den Bäumen verschwunden.
    Hanna fuhr hoch . Neben ihr ihm Gras lagen Minna und Malka. Sie hatten sich nur ein bisschen ausruhen wollen, aber sie musste eingedöst sein, denn als sie die Augen aufmachte, lagen nur noch die Berggipfel auf der anderen Talseite im Licht der untergehenden Sonne. Es war merklich kühler geworden. Die Dämmerung hatte das Tal schon erreicht. Es sah aus, als würde sie aus den Wäldern die Hänge hinunterfließen, das Tal füllen und immer weiter ansteigen. Sie mussten sich beeilen, wenn sie die Hütte erreichen wollten, bevor es ganz dunkel wurde.
    Minna stand sofort auf und klopfte sich Erde und Grashalme aus dem Rock, aber Malka wollte die Augen nicht aufmachen. Minna schaute von ihrer Mutter zu Malka, ließ den Blick zu dem Haus wandern, das in der Dämmerung mehr zu ahnen als zu sehen war, dann bückte sie sich und hob ihre kleine Schwester hoch. »Ich trag dich ein bisschen«, sagte sie. Malka schlief an Minnas Schulter weiter. Sie merkte auch nicht, dass ihre Mutter sie nach einer Weile übernahm, dann wieder Minna. Der Abstieg dauerte auf diese Art sehr lange und es war schon dunkel, als sie durch das Hoftor
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