Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai
Autoren: Mirjam Pressler
Vom Netzwerk:
ich bin es, die sich zusammenreißen muss, ich bin die Letzte, die hier durchdrehen darf.
    Hanna blickte starr auf Iwans Rücken. Die Joppe war ihm an den Ärmeln zu kurz und über dem Rücken zu eng, an der Schulternaht war sie schon eingerissen, ein Stück von seinem hellbraunen Hemd war zu sehen. Die kurze Hose hingegen war zu weit und hing ihm bis zu den Kniekehlen. Er war barfuß, trotzdem lief er rasch, setzte in einem so gleichmäßigen Rhythmus einen Fuß vor den anderen, dass Hanna sich nicht gewundert hätte, dicke Hornhautpolster auf seinen Fußsohlen zu sehen, ähnlich wie Tiere sie haben. Sie versuchte seinen Rhythmus aufzunehmen, doch sie knickte in ihren leichten Sommerschuhen mit den halbhohen Absätzen dauernd zur Seite. Außerdem wurde Malka, die neben ihr ging, immer langsamer, so dass auch Hanna ihre Schritte verlangsamte. Die Kleine schaffte es kaum mehr, die Füße von dem staubigen Boden zu heben, und stolperte mehr, als sie ging. Auch sie hat falsche Schuhe an, dachte Hanna, sie und ich. Nur Minnas Schuhe sind einigermaßen vernünftig. Wie sollen wir das nur schaffen? Aber es nützte nichts, sie mussten weiter.
    Hanna strich sich die Haare aus dem Gesicht. Es war so heiß, dass sie das Gefühl hatte zu schmelzen, Schweiß tropfte ihr von der Stirn in die Augen und brannte, Schweißbäche liefen über ihren Rücken und aus ihren Achselhöhlen. Was für eine überstürzte und planlose Flucht, dachte sie. Aber Puchers Gesicht hatte sie, mehr noch als seine Worte, vom Ernst ihrer Lage überzeugt, sie waren in Gefahr, vielleicht in Lebensgefahr, wenn an den Gerüchten, die sie immer wieder gehört und nicht geglaubt hatte, doch etwas dran war.
    Sie machte sich Vorwürfe, dass sie die Situation falsch eingeschätzt hatte, dass sie nicht früher geflohen war, dass sie sich so lange in Sicherheit gewiegt hatte, als wären alle anderen in Gefahr, nur sie nicht. Doch als sie sich vorstellte, jetzt noch einen Rucksack und Bündel den Berg hinaufschleppen zu müssen, war sie fast erleichtert, ohne Gepäck geflohen zu sein. Aber auch diese Erleichterung nahm sie sich übel, denn wie würde sie ihre Kinder durchbringen? Schließlich besaß sie nichts außer dem bisschen Geld, das ihr der Bauer für ihre Hilfeleistung und für die Arzttasche samt Inhalt bezahlt hatte. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, darüber nachzudenken, sagte sie sich. Das musste sie auf später verschieben. Jetzt war es nur wichtig, nach Ungarn zu kommen, alles andere hatte Zeit.
    Endlich erreichten sie den Wald und im Schatten blühte Malka wieder auf, zumal der Pfad nun auch weniger steil war. Die Kleine schaute sich neugierig um. An einem niedrigen Brombeerstrauch blieb sie stehen, pflückte ein paar reife Beeren und steckte sie in den Mund. Minna machte es ihr nach. Nun blieb auch Iwan stehen. Missmutig schaute er zu, wie Malka und Minna Brombeeren pflückten und sie, fast fröhlich, in den Mund stopften. Sogar Hanna aß ein paar Beeren und lachte, weil Malka der blaue Saft aus dem Mund über das Kinn lief.
    Auf einmal stieß Iwan ein zischendes Geräusch aus und legte den Finger auf den Mund. Die drei hielten erschrocken mitten in der Bewegung inne, wie bei dem Kinderspiel Ochs-am-Berg standen sie da, Minna mit aufgerissenem Mund, Malka mit ausgestreckter Hand.
    Iwan bewegte den Kopf langsam von einer Seite zur anderen, seine Augen flitzten, seine Nase zuckte wie bei einem Hund. »War nur irgendein Tier«, sagte er dann und ging weiter.
    Malkas Fröhlichkeit war wie weggewischt. Sie zog an Hannas Arm und sagte: »Ich will nach Hause. Warum gehen wir nicht nach Hause?«
    Hanna wusste nicht, wie sie ihr erklären sollte, dass sie kein Zuhause mehr hatten, deshalb sagte sie: »Wir machen einen Ausflug nach Ungarn. Das ist weit, du musst jetzt groß und tapfer sein.«
    Zum Glück gab sich Malka mit dieser Auskunft zufrieden.
    Malkas Füße taten weh . Sie hätte sich am liebsten auf den Boden gesetzt und geweint, aber ihre Mutter zog sie unerbittlich weiter, wenn sie zurückzufallen drohte. Minna, die ein paar Schritte vor ihnen ging, blieb stehen und wartete auf sie. »Warum sind wir nicht durch den Tunnel gegangen?«, fragte sie. »Gleich hinter dem Tunnel fängt Ungarn an.« Ihre Stimme klang gereizt und vorwurfsvoll.
    Die Mutter schüttelte den Kopf. »Erstens haben wir es noch nicht gewusst, als wir noch in Lawoczne waren, außerdem wird die ganze Gegend vom Grenzschutz bewacht, besonders der Tunnel.«
    »Das ist alles deine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher