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Malina

Malina

Titel: Malina
Autoren: Ingeborg Bachmann
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ich dir etwas nicht sagen. Was hältst du davon?
    Ich bin einverstanden. Ich muß ja einverstanden sein. Du mußt gar nichts, du kannst, Ivan.
    Während wir uns so mühelos zurechtfinden miteinander, geht dieses Gemetzel in der Stadt weiter, unerträgliche Bemerkungen, Kommentare und Gerüchtfetzen zirkulieren in den Restaurants, auf den Parties, in den Wohnungen, bei den Jordans, den Altenwyls, den Wantschuras, oder sie werden allen Ärmeren beigebracht durch die Illustrierten, die Zeitungen, im Kino und durch die Bücher, in denen von Dingen auf eine Weise die Rede geht, daß die Dinge sich empfehlen und zurückziehen zu sich selber und zu uns, und nackt will jeder dastehn, die anderen bis auf die Haut ausziehen, verschwinden soll jedes Geheimnis, erbrochen werden wie eine verschlossene Lade, aber wo kein Geheimnis war, wird nie etwas zu finden sein, und die Ratlosigkeit nach den Einbrüchen, den Entkleidungen, den Perlustrierungen und Visitationen nimmt zu, kein Dornbusch brennt, kein kleinstes Licht geht auf, nicht in den Räuschen und in keiner fanatischen Ernüchterung, und das Gesetz der Welt liegt unverstandener denn je auf allen.
    Weil Ivan und ich einander nur das Gute erzählen und manchmal etwas, damit wir einander zum Lachen bringen (und ohne über jemand zu lachen), weil wir sogar so weit kommen, zu lächeln vor Versunkenheit, also den Ausdruck finden, in dem wir zu uns selber kommen, hoffe ich, wir könnten eine Ansteckung herbeiführen. Langsam werden wir unsere Nachbarn infizieren, einen nach dem andern, mit dem Virus, von dem ich schon weiß, wie man ihn nennen dürfte, und wenn daraus eine Epidemie entstünde, wäre allen Menschen geholfen. Aber ich weiß auch, wie schwer es ist, ihn zu bekommen, wie lange man warten muß, bis man reif ist für diese Ansteckung, und wie schwer und schon ganz hoffnungslos war es für mich, ehe es geschah!
    Da Ivan mich fragend anschaut, muß ich etwas gesagt haben, und ich beeile mich, ihn abzulenken. Ich weiß den Namen des Virus, aber ich werde mich hüten, ihn vor Ivan auszusprechen.
    Was murmelst du da? Was sei nicht einfach zu bekommen? Von was für einer Krankheit redest du?
    Aber doch nicht Krankheit, ich meine doch keine Krankheit, ich denke nur, es gibt Dinge, die sind schwer zu bekommen!
    Entweder spreche ich wirklich zu leise oder Ivan versteht nicht, wo Malina längst verstanden, erraten, erfaßt hätte, und er kann mich doch weder denken noch reden hören, und überdies habe ich ihm kein Wort von dem Virus gesagt.
    Es ist ja eine ganze Menge für mich dazwischengekommen, ich habe mehr Abwehrstoffe angesammelt als ein Mensch braucht, um immun zu sein, Mißtrauen, Gleichmut, Furchtlosigkeit nach zu großem Fürchten, und ich weiß nicht, wie Ivan dagegen angegangen ist, gegen soviel Widerstand, dieses krisenfeste Elend, die auf Schlaflosigkeit genau eingespielten Nächte, die pausenlose Nervosität, den obstinaten Verzicht auf alles, aber schon in der ersten Stunde, in der Ivan ja nicht gerade vom Himmel gefallen ist, sondern, aus den Augen lächelnd, sehr groß und leicht gebeugt vor mir auf der Landstraßer Hauptstraße gestanden ist, war all das zuschanden geworden, und allein dafür müßte ich Ivan die höchsten Auszeichnungen verleihen und die allerhöchste dafür, daß er mich wiederentdeckt und auf mich stößt, wie ich einmal war, auf meine frühesten Schichten, mein verschüttetes Ich freilegt, und seligsprechen werde ich ihn für alle seine Begabungen, für welche aber, für welche? da noch kein Ende abzusehen ist und keines kommen darf, und so fange ich an, mir die einfachste vorzuhalten, die einfach die ist, daß er mich wieder zum Lachen bringt.
    Endlich gehe ich auch in meinem Fleisch herum, mit dem Körper, der mir durch eine Verachtung fremd geworden ist, ich fühle, wie alles sich wendet inwendig, wie die Muskeln sich aus der steten Verkrampfung lösen, ihr glattgestreiftes, ihr quergestreiftes System sich lockern, wie die beiden Nervensysteme gleichzeitig konvertiert werden, denn es findet nichts deutlicher statt als diese Konversion, ein Wiedergutmachungsprozeß, eine Läuterung, der lebendige Beweis, der faktische, der auch meßbar und bezeichenbar wäre, mit den neuesten Instrumenten einer Metaphysik. Wie gut auch, daß ich im Nu begriffen habe, wovon ich in der ersten Stunde ergriffen worden bin, und daß ich darum sofort, ohne mich anzustellen, ohne Vorstellung, mit Ivan gegangen bin. Keine Stunde habe ich versäumt, denn dieses
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