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Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Titel: Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt
Autoren: Christoph Marzi
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Zornig wischte er sich übers Gesicht. Früher hatte er oft geweint, wenn sein Vater einen seiner Wutanfälle gehabt hatte. Doch Jordi hatte dazugelernt. Am besten war es, einfach nicht auf den Schmerz zu achten, nicht darüber nachzudenken. Denn solche Gedanken machten es nur noch schlimmer. Und sie konnten gefährlich werden.
    Er biss die Zähne zusammen, stand auf und humpelte zum Eimer. »Ich werde die Fenster putzen und dann…« Er hustete und merkte, wie hartnäckig die Tränen doch waren. »Warum tut er das nur?«
    Nicht nachdenken!
    Jordi atmete tief durch, warf einen Blick auf die fliegende Galeone im Hafen und führte die Arbeit, die er begonnen hatte, zu Ende. Zuerst nahm er die Wasserlache mit einem richtigen Putzlumpen auf, bevor er begann, die einzelnen Lampen des Drehfeuers zu reinigen.
    Als er bei der vierten Lampe angelangt war, ließ das Zittern in seinen Händen nach. Langsam wurde er ruhiger.
    Hexen, du meine Güte! Wie viele Flaschen musste sein Vater wohl geleert haben, um solch einen Unsinn zu erzählen? Jordi wollte es gar nicht wissen. Er wollte bloß die Arbeit beenden, bevor er…
    Ein Glühstab rutschte aus der Verankerung und fiel zu Boden.
    Glas splitterte.
    Jordi stand stocksteif da.
    Er schloss die Augen. Nein, bitte, nicht schon wieder!
    Glühlampen waren teuer und selten. Sein Vater würde ihn grün und blau prügeln, wenn er davon erführe. Malachai Marí durfte nichts davon mitbekommen, auf gar keinen Fall.
    Jordi lauschte. Es war nichts zu hören. Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spaltbreit. Ein grollender Ton drang von unten aus dem Treppenhaus hinauf. Ein Schnarchen! Mit ein wenig Glück würde Jordi die Gunst des Augenblicks nutzen können. Wenn er schnell genug mit dem Boot an Land führe, dann könnte er vielleicht vor Einbruch der Dunkelheit mit einem nagelneuen Glühstab zurückkehren.
    Rasch schlich Jordi in die Küche hinunter, wo sich seine Ersparnisse in einer alten Mehldose befanden. Er steckte sich die wenigen Geldscheine in die Hosentasche. Malachai Marí war in einen tiefen Schlaf gefallen, der eher einer Ohnmacht glich, und aus Erfahrung wusste Jordi, dass dieser Zustand bis in die späten Abendstunden andauern konnte. Bis dahin wäre er längst zurück. Er hätte den neuen Glühstab in die Fassung gedreht, das Drehfeuer würde leuchten wie eh und je.
    Vorsichtig kletterte er die Leiter hinunter, sprang behände über die Felsen und hinein in das kleine Boot. Er ließ den Motor an und entfernte sich in Windeseile von der Felseninsel.
    Vor ihm lag Port Vell und dahinter erhob sich Barcelona. Die Dächer der Stadt funkelten in der Sonne.
    Eine halbe Stunde später erreichte er den Kai St. Sebastiá. Die Golondrinas, hölzerne Barkassen, lagen wie die Katamarane träge im Wasser. Die Säule des Kapitän Colom ragte wie bereits vor Hunderten von Jahren in den Himmel und noch immer deutete die Bronzefigur nach Westen.
    Jordi vertäute das Boot und machte sich auf zum Geschäft des Leuchtgefäßemachers. Schon oft war er hier gewesen, doch in letzter Zeit ließ ihn sein Vater seltener zum Hafen fahren.
    Nur wenige Menschen tummelten sich in den Straßen von La Marina. Die Sonne stand noch zu hoch am Himmel. Erst in wenigen Stunden würde das Leben hier richtig erwachen, das wusste der Junge.
    Er betrat die Stadt an der Porta del Mar, wo zwei römische Statuen aus weißem Carrara-Marmor, ein stattlicher Krieger und eine hübsche Göttin, zu beiden Seiten des Tors standen.
    Rasch durchquerte er die Gasse, die einstmals ein Waffenhof gewesen war, und fand sich nur wenige Augenblicke später auf der Placa de les Drassanes wieder. Einige Obsthändler bauten hier ihre Stände für den späten Nachmittag und den Abend auf und ein Schmied arbeitete bei geöffneten Türen in seiner Werkstatt. Zwischen den Häusern waren Leinen gespannt, an denen die Wäsche zum Trocknen hing. In den Ecken saßen Männer an kleinen runden Tischen und schlürften Kaffee. Maurische Händler boten Datteln feil. Palmen, krumm oder hochgewachsen, befanden sich allerorts. Es roch nach der warmen Ruhe eines sonnigen Nachmittags.
    Dieser Ort war so anders als der Leuchtturm. In der Stadt gab es Menschen, und wo man im Leuchtturm nur sein eigenes Herz schlagen hören konnte, da tönten hier die Stimmen vieler durch die Gassen wie eine einzige Melodie. Das Kopfsteinpflaster war so alt, dass niemand mehr wusste, wer es verlegt hatte.
    Geschichten wehten durch die Gassen und Jordi fragte sich oft, wie
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