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Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Titel: Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt
Autoren: Christoph Marzi
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da sein. Die Bilder, selbst die Gerüche und die Laute. Das aufgebrachte Wasser, in dem die Luftblasen sprudelten. Antonio, der verzweifelt an dem dicken Schlauch zerrte und dann erst die Kurbel drehte, die das Seil aufrollte, das ihren Vater beim Tauchen sichern sollte.
    »Die See ist unser Freund.« War es nicht das, was ihr Vater immer geglaubt hatte?
    Catalina hatte das Meer verflucht, geweint, geschrien. Aber es hatte nichts geholfen. Ihr Vater war an jenem Tag gestorben.
    »Warum weinst du nicht mehr?«, fragte der Wind noch einmal.
    Wann hatte sie aufgehört zu weinen? Sie wusste es nicht. Tatsache war, dass ihre Trauer nicht weniger geworden war. Aber die Verzweiflung hatte nachgelassen und mittlerweile waren auch die Momente wiedergekommen, in denen sie sich freuen konnte.
    »Mein Vater hat mir einmal gesagt«, erklärte sie dem Wind, »wie wichtig es ist, dass wir diejenigen, die von uns gegangen sind, genau so in Erinnerung behalten, wie sie einmal gewesen sind. Dann sind sie nie ganz fort, hat er gesagt.« Sie schwieg einen Moment. »Ab und zu, wenn ich ganz fest an ihn denke, weiß ich, dass er recht damit hatte.«
    El Cuento wehte eine verwirrte Figur in den Sand. »Es ist schwierig für einen Wind, das zu verstehen«, gab er zu.
    Catalina betrachtete nachdenklich die singende Stadt im Sonnenlicht. »Eigentlich verstehe ich es nicht einmal selbst«, sagte sie.
    El Cuento erhob sich in einer sanften Brise. »Du bist seltsam«, stellte er fest.
    »Ich weiß«, entgegnete sie ihm. »Aber das merkt ja niemand.« Sie sprang von der Mauer und der Wind folgte ihr. Der Sand zu ihren Füßen formte sich zu einem Muster, das wie Catalinas Gesicht aussah.
    Sie hockte sich nieder, berührte das sandige Bildnis mit dem Finger, ganz zögerlich. »Hast du noch eine Geschichte für mich?«, fragte sie ihren Freund.
    Der Wind, der seinen Namen nicht von ungefähr trug, gab ihr die Antwort, die sie hören wollte. Leise begann er Worte zu wispern, die er irgendwo in La Marina aufgeschnappt hatte. Und je länger er sprach, desto weiter rückte Catalinas Trauer in die Ferne. Sie spürte, wie die Sonnenstrahlen ihre spitze Nase kitzelten, schloss die Augen und genoss die Worte, die auf den Schwingen des Windes dahergeflogen kamen. Still lächelte sie in sich hinein und hörte die Melodie der singenden Stadt.
    Catalina ahnte nicht im Geringsten, wie schnell sich Dinge ändern können, wenn man am wenigsten daran denkt.

Der Lichterjunge
    Jordi Marí bekam nicht oft die Gelegenheit, Barcelona zu besuchen, auch wenn er sich jeden Tag ausmalte, wie es wäre, Teil des bunten Treibens zu sein.
    »Schlag dir das aus dem Kopf«, sagte sein Vater immer. »Du bist ein Lichterjunge, wie ich einmal einer gewesen bin.« Heute war Malachai Marí einer der Lichtleuchter von Port Vell. »Jeder im Leben hat eine Aufgabe zu erfüllen und wir müssen uns nun einmal um den Leuchtturm kümmern.«
    Er hatte seinem Sohn von pflichtvergessenen Lichtleuchtern erzählt, die ihre Aufgabe nicht ernst genommen und Schiffe mit Maus und Mann zum Untergang verdammt hatten. »Wenn die Lichter nicht mehr leuchten, dann gibt es keine Hoffnung für die Seeleute. Sie verlassen sich darauf, dass wir tun, was unsere Aufgabe ist, denn so funktioniert die Welt.«
    Der Leuchtturm auf dem zerklüfteten Felseneiland draußen vor dem Hafen von Barcelona war Jordis Welt, seitdem er zurückdenken konnte. Er kannte es nicht anders.
    Der runde, nahezu vierzig Meter hohe Turm aus ineinanderverkeilten Granitsteinen ragte aus dem Felsgestein der kleinen Insel, die gerade groß genug war, um dem Fundament des Leuchtturms Platz zu bieten. Eine eiserne Leiter, auf der Muscheln und Seegras klebten, führte zur einzigen Tür, die in fünf Metern Höhe in den Turm eingelassen war. Bei schlechtem Wetter konnte es sein, dass die Wellen sogar die eiserne Tür umspülten, so hoch konnte der Seegang vor dem Hafen sein.
    Drinnen wand sich eine Wendeltreppe hinauf zu den Lagerräumen und den Wohnräumen. Ganz oben befand sich unter einem roten Kuppeldach aus Stahl das Drehfeuer mit seinen vier großen Brenngläsern. Wie eine riesige Glühbirne, so sah das Drehfeuer aus. Wenn es in Betrieb war, dann tickte die gesamte Apparatur wie ein Uhrwerk.
    Draußen, vor den Fenstergläsern, befand sich ein Rundgang. Hierher kam Jordi oft, wenn die bösen Geister, die seinen Vater befielen, müde wurden und schwiegen. Er stand dann einfach nur da, hielt sich an dem eisernen Geländer fest und
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