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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott
Autoren: Christine Lehmann
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however improbable, must be the truth?‹ Und hier trifft er gar nicht. Denn wir – Kollegin Meisner und die Ermittler – haben Ruben ausgeschlossen, weil er unmöglich seinen Vater erschossen haben kann. Er war zu diesem Zeitpunkt in Hamburg, seine Flugtickets belegen das, die Personalabteilung des Verlags, bei dem er sich vorgestellt hat, bestätigt das Gespräch.«
    »Ich bin felsenfest überzeugt, dass das Gespräch am frühen Morgen stattfand oder am späten Nachmittag …«
    »Morgens um halb zehn.«
    »… und dass Ruben einen Flug Hamburg-Stuttgart gegen Mittag und einen Rückflug Stuttgart-Hamburg am späteren Nachmittag gebucht hat. Wie hat man ihn denn erreicht, um ihm die Nachricht vom Tod seines Vaters mitzuteilen?«
    »Die Beamten haben ihn auf dem Handy angerufen, dessen Nummer sie von der Putzfrau in Durs Ursprungs Wohnung bekommen hatten. Sie haben ihn aber erst abends erreicht. Deshalb hat man seinen Namen auch bis zum Abend nicht an die Presse gegeben.«
    »Und warum war er nicht erreichbar?«
    »Er habe sein Handy nicht dabeigehabt, gab er an, er habe es zu Hause vergessen gehabt.«
    »Sehr klug!«
    Richard schnippte die Asche übers Geländer. »Und darum hat Sherlock Holmes eben nicht recht. Schließen wir das Unmögliche nicht mehr aus, nämlich, dass Ruben an diesem Tag in Stuttgart war, so ist das, was übrig bleibt, keineswegs das Unwahrscheinliche, sondern das Wahrscheinlichste der Welt. Die meisten Gewalttaten werden im familiären Umfeld aus Habgier oder Kontrollsucht begangen.«
    »Das weiß auch Ruben«, sagte ich. »Deshalb hat er den meisten Hirnschmalz darauf verwendet, woanders zu sein als dort, wo er seine Taten begeht. Und das, mein lieber Dr. Weber, ist eben das Unwahrscheinliche, das übrig bleibt, wenn wir alle Stalker, Sniper und Bücherhasser in den Bereich der narrativen Verzerrung verweisen: Ruben beseitigt seine Halbbrüder und deren Nachkommen, so wahnwitzig das auch erscheinen mag. Er tut es vordergründig, um vom väterlichen Glaubenskrieg für die Literatur freizukommen, sich das Erbe zu sichern und Geld für seine Fliegerei zu haben, aber seine Mordlust kommt von weit her aus der emotionalen Verwahrlosung eines Jungen, der im Keller der vergessenen Bücher aufwuchs und zuschauen musste, wie sein Vater immer wieder mit Autorinnen in die Kiste stieg. Er tötet aus abgrundtiefem Hass auf Bücher.«
    »Und wie kommt es«, wandte Richard ein, »dass niemand Ruben wiedererkannt hat in dem Mann auf deinem Film von der Demonstration und auf dem der Überwachungskamera im Eingangsbereich von Walfisch?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe Ruben überhaupt nur ein einziges Mal gesehen. Als knielahmen und antriebslosen Menschen.«
    »Und, Lisa, mit einem auffälligen geflochtenen Kinnbart. Und wenn er den nicht inzwischen abrasiert hat …«
    »Muss er gar nicht!« Die Idee fiel mir aus heiterem Himmel ins Hirn. »Er trägt eine Maske. Jawohl, Richard, das ist es! Es hätte mir auch schon früher einfallen können. Ruben trägt ein zweites Gesicht. Bei unseren Crossdresser-Partys tragen manche solche Masken aus Latex oder – noch lebensechter – aus Silikon. Man kann sie bei entsprechenden Händlern sogar online kaufen, Gesichter von Piraten, Paten, Henkern oder Schauspielern. Man kann sie aber auch anfertigen lassen. Das kostet natürlich eine Stange, aber die Investition hätte sich gelohnt für Ruben. Mir kam dieses Gesicht immer eigenartig starr und unproportioniert vor, und dann dieses Hängekinn. Darunter versteckt er seinen Bart.«
    Richard ging zum Aschenbecher, löschte sei ne Zigarette und kam zurück ans Geländer.
    »Und das bedeutet«, fuhr ich fort, »Ruben ist hier. Er ist auf der Messe. Eine Eintrittskarte hat er ja. Die Buchhandlung Ursprung hat zwei bekommen. Und selbst wenn er keine gehabt hätte, irgendwie kommt man überall rein.«
    »Aber riskant. Am Einlass wird der Ticketcode gescannt. Und ich gehe mal davon aus, dass die Messeverwaltung ihn dem Kartenbesitzer zuordnen kann. Man wüsste also, dass Ruben hier war.«
    Ich überlegte. Er überlegte.
    »Übrigens«, fiel mir ein, »wenn ich Ruben wäre, wür de ich mich nicht mehr damit aufhalten, Michel und Lola zu töten. Warum zwei, wenn es mit einer Person getan wä re? Ich würde auf Marianne Brandel schießen, auf die Mut ter. Ruben muss davon ausgehen, dass sie die einzige Person ist, die außer ihm noch weiß, wer der leibliche Vater von Michel Schrader war. Falls er sie nicht ohnehin aus
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