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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott
Autoren: Christine Lehmann
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zum Hinterzimmer auf. Ich steckte das Telefon in meine Jackentasche. Lucie Müller fuhr hoch, fegte dabei die Schüssel mit den Gummibärchen vom Tisch und tauchte ab, um sie wieder einzusammeln.
    Richard ließ der Kulturstaatsministerin den Vortritt. In der linken Hand hielt sie sein oder mein, eigentlich unser Schloss und Fabrik, die rechte reichte sie ihm zu einer von einem freundschaftlichen Lächeln begleiteten formellen Verabschiedung. Richard deutete eine sparsame, aber aufrichtige Verbeugung an. Ihre Hände lösten sich, ihre Blicke rissen sich voneinander los, sie drehte sich um.
    Dabei entdeckte sie mich und kam tatsächlich extra zu mir, um auch mir die Hand zu geben. »Es hat mich sehr gefreut, wirklich!«, sagte sie mit einem nicht höflichen, sondern freundlichen Lächeln. »Passen Sie mir weiter so gut auf Richard auf, ja? Und vielen Dank für das Buch.«
    »Wer hat es denn nun eigentlich bei Durs Ursprung deponiert?«
    »Er selbst, denke ich. Ich hatte es ihm gezeigt. Er hat sich köstlich amüsiert. Als ich am andern Morgen gehen wollte, war es verschwunden. Ich könne ja bei ihm bleiben und es suchen, meinte er. Wahrlich, in diesem Laden hätte ich mein Leben lang gesucht! Durs hatte zuweilen einen sonderbaren Humor.«
    »Und das Manifest, die Namen?«
    Marianne überlegte einen Augenblick. Dann sagte sie mit großer Offenheit: »Er war das Dokument des geheimen Gründungsakts einer Gruppe, zu der ich nicht gehört habe. Wolfi sollte das Manifest formulieren, konnte aber nicht Schreibmaschine schreiben, typisch damals für die jungen Herren. Also kam er zu mir.
    Ich hatte ihm schon so manche Seminararbeit getippt. Es fiel ihm auch nicht so recht was ein. Wolfi war ein guter Redner, aber das Schreiben fiel ihm schwer, das Diktieren sowieso. Seine Ansprüche an sich waren zu hoch, deshalb ist er auch an seiner Dissertation gescheitert. Also haben wir den Text, sagen wir mal, gemeinsam formuliert. Anonyme Verlautbarungen waren damals undenkbar, ein Name musste darunter stehen. Man wollte jedoch keinen der Gruppe exponieren. Außerdem wollte man dokumentieren, wer hinter diesem Aufruf stand. Al so beschloss man, die Namen auf eine Weise in den Text zu setzen, die nicht auf den ersten Blick erkennbar wäre. Die meisten von ihnen kannte ich damals übrigens gar nicht. Die zweite Frage war, wo deponiert man dieses wertvolle Dokument? Da kam Wolfi auf die Idee, ein altes Buch zu nehmen, gewissermaßen als Safe. Und ich sollte es binden. Das Buch stammte aus der Bibliothek seines eben verstorbenen Großvaters.« Sie lachte unvermittelt heiter. »Wir waren wie die Kinder, finden Sie nicht?«
    »Sind wir das nicht heute noch?«
    Sie lachte wieder. »So, jetzt muss ich aber wirklich los. Aber wir sehen uns ja sicher nachher noch. Ich würde mich gern noch ein wenig mit Ihnen unterhalten. Sie scheinen ja ein ziemlich ungewöhnliches Leben zu füh ren. Darüber möchte ich mehr wissen.«
    Mir blieb die Klappe offen stehen. Und sie eilte davon, schmal und filigran neben ihrer hurtigen Referentin. Währenddessen trat Richard zu mir mit einem Gesicht wie klares Quellwasser, rein und mit sich im Reinen, ge löst und zugleich gefasst und gestärkt, bereit zu neuen Aufbrüchen ins alte Leben.
    »Na, war sie gut?«, fragte ich.
    Er schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Es ist nicht alles so, wie du denkst, Lisa!«
    Ich lachte laut heraus. Das Gesicht auf dem Buchcover hinter Richard grinste. Auch des Dalai Lamas Miene zuckte. Nur die jungen Herren in den dunklen Anzügen guckten pikiert.
    Richard nahm mich am Ellbogen und schob mich hinaus in den Gang. Auf direktem Weg durchs Gewinkel der Gänge und Stände begaben wir uns hinaus auf die Terrasse von Halle 3.1, eine rauchen.

 
     
30
     
    Eine Sonne vergoldete den Abend. Richard inhalierte tief und überließ es mir, ihm die Überlegungen, die er bereits angestellt hatte, darzulegen.
    »Wenn du alles Unmögliche ausgeschlossen hast, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich es auch ist!«, sagte ich.
    Er schnaubte. »Diesem Satz, den der unvergleichliche Conan Doyle seinem Sherlock Holmes in den Mund legt, um zu zeigen, dass Kriminologie eine Wissenschaft ist und keine Frage des Leumunds, habe ich, ehrlich gesagt, nie wirklich zustimmen können. Ich habe ihn sogar zunächst für einen Übersetzungsfehler gehalten, aber auch im Englischen heißt es: ›How often have I said to you that when you have eliminated the impossible, whatever remains,
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