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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott
Autoren: Christine Lehmann
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wandte ich mich an die erschrockene Pressetante des Verlags, »wenn die Polizei nicht kommt, dann schließen Sie sich in der Toilette da drüben ein. Und Lola soll mir eine SMS schicken, wo sie ist. Verstanden?«
    Die Frau nickte.
    Damit lief ich los, und zwar quer durch die Halle zu eben diesen Toiletten. Der Kaffee, den ich bei Ariadne und bei Fliegenkopf bekommen hatte, drückte mich schon eine ganze Weile. Ich erleichterte mich. Außerdem konnte ich mich auch gleich gründlich am Wasserhahn schnäuzen. Der eklige Staub von Fliegenkopfs Ich-Büchern biss noch immer.
    Stopp!
    Wieso Staub? Vor meinem inneren Auge sah ich den Schwaden, den der Mann, während ich mit Christoph telefonierte, vom Schnitt des Buchs aus dem obersten Regal geblasen hatte. Es war ein routinierter Blas gewesen, der eines erfahrenen Bücherfreunds, der alte Bücher aus verstaubten Regalen nahm. Ihn hatte es nicht gewundert. Aber mich hätte es wundern müssen. Die Bücher auf der Messe konnten nicht verstaubt sein. Sie waren druckfrisch und standen erst seit gestern in den Regalen. Die Halle war neu, das Belüftungssystem gut.
    Ich stürzte aus der Toilettenanlage hinaus und schaute nach oben. Die Hallendecke war ein schnittiges graues Stahlwagnis vom Typ Raumschiff Enterprise. Zum zweiten Mal heute fragte ich mich: Gab es hier eine Sprinkleranlage? Der Gedanke war so kühn, dass ich ihn verwarf. Aber ich rannte trotzdem los, über die Teppiche der fast leeren Gänge an halb verlassenen Ständen entlang zu Fliegenkopf, wo die Mädels am Aufräumen waren und zwei Herren auf ein Geschäft anstießen oder auf eine langjährige Messefreundschaft. Ich langte eines der Ich-Gesichter aus dem obersten Regal.
    Tatsächlich: Es lag ein graugelber, etwas körniger Staub darauf. Auf dem nächsten auch. Die Bücher zwei Regale weiter waren staubfrei. Ich ging zum Stand gegenüber. Kein Staub. Ich lief ein paar Stände weiter. Da, am Fuß des Regals hatte es etwas Graues hingekrümelt. Oben auf den Büchern lag das Zeug auch.
    Ich schaute noch hier und da auf meinem Weg zurück zu Yggdrasil. Das Pulver war überall, nicht auf jedem Buch und auch nicht in jedem Stand, aber vielleicht in jedem vierten oder fünften auf einigen Büchern, oftmals eine Prise nur. Ich war mir sicher: Hier hatte jemand ein Kilosäckchen Zinkpulver und Natriumperoxid verteilt, und wenn die Sprinkleranlage losging, dann brannte Hal le 3.1. Nur, wie wollte er diesen Prozess in Gang setzen und zugleich woanders sein? Eine Sprinkleranlage brauchte Rauch. Und Rauch brauchte Feuer. Das Stück Eis auf einem Taschentuch auf einem Gittergestell fiel mir wieder ein. Ein einfacher Zündzeitverzögerer. Das Eis taute, tränkte das Taschentuch und durchnässe es langsam, bis es irgendwann durchtropfte und eine starke exotherme Reaktion ausgelöste.
    Aber war das jetzt die vordringlichste Frage?
    Ich kam bei Yggdrasil an. Niemand dort. Ich schaute auf mein Handy. Keine Nachricht von Lola. Ich rannte noch mal ins Klo und rief. Keine Antwort. Ich schaute auf die Uhr. Die feierliche Veranstaltung würde sicherlich mit einer längeren Rede der Kulturstaatsministerin eröffnet werden. Am Pult würde sie mindestens zwanzig Minuten lang ein nahezu statisches Ziel abgeben.
    Ja, Ruben würde auf sie schießen. Denn ob Lola überhaupt nach vorn auf die Bühne gerufen wurde, war zweifelhaft. Höchstwahrscheinlich würde sie den Preis nicht bekommen. Dass man sie nach all den Diskussionen über geistigen Diebstahl nicht von der Nominierungsliste gestrichen hatte, war schon viel. Und selbst wenn sie doch auf die Bühne trat, ihr Vater würde im Publikum sitzen bleiben. Und zwar in der ersten Reihe, unerreichbar für einen Schützen aus den hinteren Reihen.
    Ich schaute noch einmal auf die Uhr und zwang mich, die Zeiger zu analysieren. Noch zwei Minuten.
    Keine Durchsage hatte die wenigen, die noch da waren, bislang aufgefordert, die Hallen zu verlassen. Von den schwarzen Männern des SEK mit den schwarzen Helmen war kein Zipfel zu sehen. Es herrschte die Ruhe nach dem Sturm des ersten Messetags. Die Letzten huschten davon, mit Rollkoffern voller Bücher, mit wichtigen Taschen und erschöpften Mienen hinaus gen Torhaus oder City, fortgetragen von langen Laufbändern.
    Hoffentlich war Richard erfolgreicher gewesen als ich. Sonst war Ruben sicher längst dort und saß unerkennbar im Publikum.
    Ich wandte mich dem Hallenausgang zu, irrte mich aber und kam am falschen Ende der Halle an. Der Ausgang zum Forum 1
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