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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott
Autoren: Christine Lehmann
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befand sich auf der anderen Seite. Ich eilte auf leisem Teppich Gang F entlang.
    Ein Geräusch bewog mich, mich umzudrehen. Zuerst entdeckte ich nichts, dann aber sah ich in der Ecke hinter mir Rauch aufsteigen. Ich rannte los. Vor meinen Augen setzten sich die Türen des Ausgangs in Bewegung und schlossen sich. Hilfe! Panik raste mir unter die Haare.
    Ein Knistern und Knattern setzte ein. Und mit ihm kam der Regen. Er näherte sich von hinten, denn die Sprinkleranlage war intelligent genug, räumlich begrenzt nur dort anzuspringen, wo es qualmte, setzte dabei aber zwangläufig immer weitere Pulverstellen in Brand. Die ersten Flammen loderten schon hoch über die Standwän de hinaus.
    Ich kam bei den geschlossenen Türen an. Super Idee! Was denn, wenn hier noch Tausende Leute gewesen wären. Sollten sie alle verbrennen und ersticken? Nein, das Sicherheitskonzept war schlauer als ich. Zum Glück bekam ich die Klinke zu fassen und merkte, dass die Brandschutztür sich öffnen ließ.
    Ich war draußen. Wenn auch durchnässt.
    Hinter mir brannten in der neuen Halle 3.1 unter der Hightech-Decke lustig, aber wortlos Romane, Memoiren, Poesie und bibliophile Ausgabe von Klassikern ab.
    Und während irgendwo in der Verwaltung jetzt einer aufgeschreckt den Ordner mit dem Leitfaden für den Brandfall in die Hand nahm und den Voralarm für die Räumungshelfer auslöste, um dann weitere Punkte der Handlungsanweisung abzuarbeiten, vielleicht bis zu einer Durchsage oder einem regulären Feueralarm, wartete im Saal im Forum 1 Ruben Ursprung auf den Moment, wo Unruhe und Unsicherheit aufkam, man sich umschaute, aufstand, floh, um Marie zu erschießen und vielleicht, wenn es sich günstig ergab, auch noch Lola und Michel.
    Und ich war hier, nicht dort!
    Das große Treppenhaus, von dem auch lange Gänge zu anderen Hallenkomplexen abgingen, war menschenleer. Schilder wiesen in alle Richtungen. Torhaus, Eingang City? Forum 1, Via Mobile! Ja, da musste ich hin.
    Ich rannte das erste der Laufbänder entlang. Es katapultierte mich aufs nächste. Beim dritten hatte ich so viel Schwung, dass ich stolperte und auf die Schnauze schlug. Ich rappelte mich auf, gerade noch rechtzeitig, bevor mich das Laufband auswarf. Ich rannte auf ein weiteres Treppenhaus zu.
    In meinem Augenwinkel sah ich eine Gestalt um eine Ecke huschen. Ich stoppte, überlegte und lief leise hinüber, lauschte – nichts zu hören – und bog um die Ecke.
    Und da stand ich ihm gegenüber.
    Ich bin vermutlich die Erste, die auf der Frankfurter Buchmesse erschossen wird, dachte ich. Schade um das Projekt mit dem Ariadne-Verlag. Ich werde doch keine berühmte Autorin. Echt schade!
    Es war eine Pistole mit Schalldämpfer. Sie verlängerte den Arm eines Mannes mit einem viel zu alten Gesicht für den jungen, etwas unbeholfenen Körper. Er trug Jeans und eine Cordjacke wie tausend andere der Literaten, Journalisten, Verleger, Buchhändler oder Kritiker, die über die Messe eilten. Über der Schulter hing ihm eine abgewetzte Herrentasche.
    Zeugen? Keine. Der Gang spiegelte das Licht der Düs ternis, die so einen Gang ausmacht, der vielleicht zu Bü ros führt oder ins Nichts. Woanders herrschte Leben, waren Leute, hielt jemand eine Rede, fieberten junge Autoren einer Preisvergabe entgegen, raschelten Seidenblusen und Anzüge, herrschte das leise Knistern der Kultur.
    So still es auch war, sie alle würden nichts hören, wenn er feuerte.
    Ich schaute in braune Augen. Wenn man es wusste, sah man den Rand der Maske auf den Lidern. Es war dasselbe humorlose Gesicht, in das ich in Friedrichshafen geblickt hatte. Vermutlich hatte er dort nur keine Gelegenheit gefunden, unbemerkt auf Lola zu schießen. Zumal Vater Michel auch gar nicht dabei gewesen war.
    Er zielte mir ins Gesicht wie ein Soldat der Spezialkräfte, nicht über die Augen, denn hinter der Stirn war ja nur Gehirn. Ein so guter Schütze war er also gar nicht. Michel hatte er überhaupt nicht getroffen und das Herz seines Vaters nur zufällig so punktgenau, falls er jedes Mal wie ein Soldat aufs Gesicht gezielt hatte.
    »Hallo, Ruben!«, sagte ich und machte einen Schritt auf ihn zu. »Es hat keinen Sinn mehr …«
    Er schoss.
    Ich schrie: »Au!« Dabei fühlte ich keinen Schmerz, nur einen Druck auf der Brust, der mich von den Füßen riss und gegen die Wand schleuderte. Den Schuss hatte ich nicht gehört. Krach machte erst die Patronenhülse, die auf den Boden fiel. Der Schütze bückte sich, um sie aufzuheben.
    Was hatte
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