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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall
Autoren: Dieter Woelm
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wieder draußen sind!‹, hatte er zu mir gesagt und ich fühlte, dass es jetzt für einen solchen Besuch an der Zeit war. Vielleicht kam ich schon zu spät, aber versuchen wollte ich es. Der Krebskranke war so nett gewesen und hatte mir selbst in seinem jämmerlichen Zustand noch Mut zugesprochen.
     
    Da meine Schuhe und die Strümpfe inzwischen getrocknet waren, machte ich mich mit Oskar auf den Weg zur Klinik. Ich ging zu Fuß, denn ich wollte mein Geld nicht für Busse oder Taxen ausgeben. Als ich aufstand, erhoben sich auch die beiden Penner in ihren Ledermonturen. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir folgten. Durch die Parkanlagen ereichte ich, vorbei an mehreren Ententeichen, nach etwa einer halben Stunde Fußmarsch das Klinikum. Die beiden Penner waren nach wie vor hinter mir, was mich zunächst verwunderte, aber ich machte mir darüber keine weiteren Gedanken. Ich war froh, dass sie mich nicht angesprochen hatten, denn ich verspürte im Augenblick nicht die geringste Lust, ihnen womöglich meine Geschichte zu erzählen.
    Der Besucherparkplatz war um diese Zeit am frühen Nachmittag sehr voll und fast war ich froh, zu Fuß hier zu sein. Langweilig glotzten mich die parkenden Autos mit ihren Scheinwerfern an und unwillkürlich fragte ich mich, ob ich womöglich selbst ein Auto besaß oder ob ich ein solches Auto fahren könnte. Da Hunde in der Klinik verboten waren, band ich Oskar an einen Pfosten beim Besucherparkplatz und sagte: »Bleib!« Sofort rollte er sich brav zusammen, so als ob er sagen wollte: ›Ist schon okay, ich warte hier auf dich.‹
    Die beiden Penner blieben am Eingang des Klinikums zurück und ich war froh, wieder meine Ruhe vor ihnen zu haben.
     
    »Herein!«, rief eine schwächliche Stimme, als ich an das Zimmer von Ulrich Brenner klopfte. So hieß der Krebskranke, wie ich inzwischen auf seinem Kärtchen gesehen hatte.
    »Das ist aber schön, dass Sie mich besuchen«, freute er sich ehrlich, als er mich sah.
    Ich gab ihm die Hand und spürte seinen kraftlosen Händedruck.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte ich. Aber eigentlich kannte ich die Antwort. Er sah noch schlechter aus als vor einigen Tagen, gelblich bleich mit geröteten Augen, die Wangen eingefallen, die Lippen trocken und gesprungen.
    »Nicht besonders«, kam seine Antwort. »Es will einfach nicht besser werden. Heute früh habe ich einen Einlauf bekommen. Ich war zum Platzen voll. Der Darm will eben nicht mehr.«
    Ich schluckte.
    »Sie müssen kämpfen«, sagte ich leise.
    »Das will ich ja, schon wegen der Kinder«, antwortete er, »aber bald schaffe ich es nicht mehr. Der Krebs ist stärker. Und Sie? Wie geht es Ihnen?«
    »Ach, es geht so«, murmelte ich und schämte mich beinahe, dass ich mein eigenes Schicksal so wichtig nahm.
    »Klingt ja nicht sehr überzeugend«, lächelte er matt aus seinem Kissen und ich sah, wie ihn das Sprechen anstrengte. »Noch immer keine Erinnerung?«
    »Nein, noch immer nichts.«
    »Überhaupt nichts? Nicht einmal eine Kleinigkeit?«, fragte er nach.
    »Doch, schon. Ich war in einem Buchladen. Ich kannte Hemingway und Jules Verne und viele andere. Ich muss wohl viel gelesen haben in meiner Vergangenheit!«
    »Na, sehen Sie«, lächelte er, »wenn Sie all diese Schriftsteller kennen, ist das doch schon ein Lichtblick. Ein kleines Mosaiksteinchen, aus dem sich irgendwann ein Bild ergibt.«
    »Ja, schon, nur mein Name, mein Geburtstag, mein Beruf, meine Frau und meine Kinder, falls ich welche habe …«, brach es aus mir heraus und es musste so herzerweichend geklungen haben, dass er mich sehr betroffen ansah.
    »Ja, ja, ich verstehe, das muss schrecklich sein, wenn man sozusagen alles verloren hat«, sagte er schnell und griff nach meiner Hand. »Nur Mut, mein Freund.« Sein Händedruck war jetzt etwas kräftiger, so als ob er alles gab, was noch in ihm steckte. Dann winkte er mich näher zu sich.
    Ich beugte mich über ihn und roch den säuerlichen Geruch, der von ihm ausging.
    »Ich muss dich etwas fragen«, flüsterte er geheimnisvoll. Er war zum Du übergegangen und sah mir tief in die Augen. »Du siehst schrecklich aus«, sagte er. »Ist dir etwas passiert? Dein Mantel, der Anzug, alles wie aus der Gosse. Du gibst einen furchtbaren Anblick ab und riechst irgendwie komisch.«
    Ich war mir nicht sicher. Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Sollte ich ihm erzählen, dass ich in den Main gegangen war und um ein Haar dort geblieben wäre?
    »Ich …«, stammelte ich, »ich habe ein paar Nächte im
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