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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall
Autoren: Dieter Woelm
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Hund, der hat doch die ganze Nacht an meiner Brust gekuschelt.
    Aber sie ließ sich nicht abschütteln, sondern trat wieder näher an mich heran. Entweder störten sie meine Ausdünstungen nicht oder sie ließ sich nichts anmerken. Fast kam es mir so vor, als wollte sie hautnah bei mir stehen, wahrscheinlich um den Geruch, der von mir ausging, besser zu riechen.
    Sie reichte mir einen Bildband und ich blätterte darin. Das Schloss, der Main, die Stiftskirche – schöne Fotos, aber was sollte ich damit?
    »Vielleicht wäre ein Stadtplan doch besser«, sagte ich also.
    Sie ging voraus und zeigte mir die Stadtpläne. »Hier. Der vom ADAC wird gern genommen.«
    Ich trat unschlüssig von einem Bein auf das andere. Der Plan war mir etwas zu groß für meine Manteltasche.
    »Kleinere haben Sie nicht?«, fragte ich.
    »Nein, leider nicht …, aber …«, sie kam jetzt ganz nah, sodass sie fast meine Nasenspitze mit der ihren berührte, »… aber vielleicht fragen Sie mal bei der Sparkasse oder der Volksbank nach, die haben manchmal solche Pläne, die Sie meinen.«
    Sie hatte das ganz leise gesagt, so als ob sie sich für diese Auskunft schämte, und ich roch wieder ihr Parfum. Es war mir peinlich, dass ich jetzt nichts bei ihr kaufte, wo sie so freundlich gewesen war. Sie kam mir irgendwie bekannt vor, doch ich wagte es nicht, sie darauf anzusprechen. Schließlich konnte ich schlecht sagen: Ich bin der, den sie aus dem Main gezogen haben, aber vielleicht kennen Sie mich ja von früher. Wissen Sie vielleicht, wie ich heiße?
    Also verbeugte ich mich nur höflich, sagte nochmals: »Vielen Dank!«, nahm Oskar wieder auf den Arm und eilte über die Rolltreppe nach unten ins Erdgeschoss, von wo aus ich wenig später den Buchladen wieder verließ.
    Frauen … wie stand ich zu ihnen?
    Mich beschlich das deutliche Gefühl, dass sie mir etwas bedeuteten, aber hatte ich selbst eine Frau? Womöglich auch Kinder? Keine Ahnung!
    Einen Moment lang überlegte ich, ob ich in den Buchladen zurückkehren und die Verkäuferin doch fragen sollte, ob sie mich kannte. Aber ich war zu feige, schlich unentschlossen aus der City-Galerie, spazierte in die Parkanlage, die gleich am Ausgang des Einkaufscenters begann, und setzte mich dort auf eine Bank. Herbstlaub segelte mir vor die immer noch feuchten Füße. Die Sonne schien und so wagte ich es, die Schuhe auszuziehen und die Strümpfe an der Sonne trocknen zu lassen. Ab und zu kamen Spaziergänger vorbei und von Zeit zu Zeit auch Hundebesitzer, die ihre Vierbeiner Gassi führten. Oskar reckte dann seine Schnauze in die Höhe, blieb jedoch brav bei mir neben der Bank sitzen, so als ob er mir beweisen wollte, dass er wirklich mein Hund war.
    Auf der benachbarten Bank genossen einige Penner die Herbstsonne. Jedenfalls nahm ich an, dass es Penner waren, mit Plastiktüten unter der Bank, in denen sie wohl ihre wenigen Habseligkeiten verstaut hatten. Eine Weinflasche kreiste. Die Stimmung war anscheinend gut. Beinahe fühlte ich mich ein wenig zu ihnen hingezogen. Obdachlos war ich auch und etwas Unterhaltung hätte mir gutgetan. So weit war es gekommen: Ich sehnte mich nach etwas Zuneigung dieser Ärmsten der Armen, hätte gern aus ihrer Weinflasche getrunken, um meinen Kummer darin zu ertränken. Zwei der Penner sahen immer wieder zu mir herüber und tuschelten, wahrscheinlich über mich. Einer hielt einen Zeitungsausschnitt vor sich und betrachtete ihn sorgfältig. Wahrscheinlich hatten sie jetzt festgestellt, wer ich war, dachte ich. Eine Attraktion schien ich schon zu sein, jedenfalls unter den Pennern, die Zeit hatten, sich mit mir zu beschäftigen. Ich wunderte mich, dass die beiden eine Ledermontur trugen, so wie man sie von Motorradfahrern kennt. Allerdings hatten sie keine Motorradhelme bei sich, sondern hatten breitkrempige lederne Schlapphüte auf den Köpfen, die bei schlechtem Wetter sicher bestens vor Wind und Regen schützten. Ihre Gesichter waren kaum zu erkennen, da sie durch große, dunkle Sonnenbrillen verdeckt wurden.
     
    Langsam kam eine alte Frau an einem Rollator auf mich zu. Es bereitete ihr Schwierigkeiten, ihren Gehwagen vorwärtszuschieben, da die Räder auf dem rotbraunen erdigen Weg schlecht liefen. Einen Moment lang erinnerte sie mich an den Krebskranken aus der Klinik. Ich sah ihn vor mir, an seinem Rollator, mit seinem aufgeblähten Bauch, mit seinen traurigen Augen, die noch trauriger wurden, als er von seinen Kindern sprach.
    ›Besuchen Sie mich mal, wenn Sie
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