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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall
Autoren: Dieter Woelm
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die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht und auf meinen feuchten Füßen. Wie Oskar wohl richtig hieß und wo er herkam? Er wusste es sicher, konnte es aber nicht sagen und ich hätte es sagen können, wusste es aber nicht.
    Ein kleiner Dackel ohne Halsband und ohne Herrchen, hatte der nicht sehr viel Ähnlichkeit mit mir? Ich wusste nicht, ob ich jemals einen Hund hatte. Mein Gedächtnis war wie ausgelöscht, wie leer gefegt durch diesen Unfall im Main. Vielleicht war es ja tatsächlich mein Hund? Vielleicht war er mit mir ins Wasser gestürzt? Oder man hatte uns beide ins Wasser gestoßen. Ihn ohne Halsband und mich ohne Papiere …
     
    Ich ging mit Oskar durch die Fußgängerzone zum Herstallturm und kaufte ihm unterwegs Halsband und Leine. Anschließend besuchte ich die City-Galerie an der Platanenallee, das überdachte Aschaffenburger Einkaufszentrum, um mich in den dortigen Boutiquen etwas aufzuwärmen.

3
    Die Leute hasteten durch die City-Galerie. Ich wunderte mich, wie viele Menschen am frühen Vormittag schon in diesem Einkaufszentrum unterwegs waren. Die meisten sahen mürrisch aus, eilten mit Taschen oder Einkaufstüten zielstrebig irgendwohin, grüßten nicht, sahen einen kaum an oder blickten durch einen hindurch. Ich kam mir wie Luft vor. Hier, mitten in der Menge, konnte man so einsam sein wie sonst nirgendwo.
    Warum sahen alle so mürrisch aus? Hatten sie ihre Namen vergessen? Wussten sie nicht, wo sie hingehörten? Oder wussten sie es so gut, dass es sie mürrisch machte?
    Ich setzte mich auf eine der Bänke in der Einkaufspassage. Oskar rollte sich neben meinen Schuhen zusammen. Ich hörte das dumpfe Getrampel der Füße, die an mir vorbeihasteten. Mir war kalt und ich zog meinen zerknautschten Regenmantel enger um mich. Obwohl die Einkaufsgalerie gut geheizt war, fror ich. Meine Schuhe waren nach wie vor feucht. Das Leder trocknete langsam und ich malte mir aus, wie unangenehm meine Füße riechen würden, wenn ich die feuchten Schuhe auszöge. Doch das tat ich besser nicht. Lieber wollte ich hier sitzen, die Leute beobachten, später wieder ein Fischbrötchen essen und dann … ich wusste es nicht.
    Nach einiger Zeit erhob ich mich und ging mit Oskar in den Buchladen gegenüber. Da erwarteten sie mich, meine Freunde. Hemingway zum Beispiel. Mit ihm konnte ich reden, auch wenn er lange tot war. Robert Louis Stevenson, Mark Twain, Jules Verne, alle hatten sich hier versammelt, um an meinem Schicksal Anteil zu nehmen. Sogar Goethe und Schiller waren da, auch wenn sie sich nicht sonderlich für mich interessierten.
    Ich war erleichtert, dass ich wenigstens sie noch kannte. Wie ein Besessener ging ich die Regalreihen des Buchladens durch und freute mich über jeden Roman, der mir bekannt vorkam. Das war doch immerhin ein Hinweis. Ich musste viel gelesen haben, kannte viele der Bücher, die hier fein säuberlich und alphabetisch aufgereiht standen.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte mich schräg von hinten eine dunkelhaarige Frau. Sie war die Erste, die mich in diesem Einkaufszentrum freundlich ansah. Sie mochte so um die 30 sein. Alles an ihr war rundlich. Die Hüften, die Schultern, das Gesicht und die Wangen. Sie lächelte und ich sah die dunkelrot glänzende Farbe auf ihren vollen, schön geschwungenen Lippen.
    »Ich suche etwas über Aschaffenburg.«
    »Das haben wir oben«, antwortete sie freundlich und ihre braunen Augen leuchteten. »Ich gehe am besten vor.«
    Ich folgte ihr die Rolltreppe hinauf in den zweiten Stock, nahm Oskar auf den Arm, sah ihre kräftigen Hüften vor mir und ihre schlanken langen Beine, die mich an etwas anderes als an Bücher denken ließen.
    »So, hier ist es«, erklärte sie und deutete gleich links oben neben der Treppe auf ein Regal. »Hier finden Sie alles über Aschaffenburg und Unterfranken. Hatten Sie an etwas Bestimmtes gedacht?«
    Während sie das sagte, musterte sie mich auffallend und mir war klar, dass sie sich jetzt Gedanken über meinen Anzug und den zerknautschten Regenmantel mit den ausgebeulten Taschen machte.
    »Nein, nichts Bestimmtes, wissen Sie, ich bin neu hier …«
    Sie zeigte mir einige Bildbände über Aschaffenburg. Dabei kam sie mir so nah, dass ich ihr Parfum roch. Frisch und lebendig kam es mir vor, obwohl ich den Duft nicht genau definieren konnte.
    Mein Gott, schoss es mir im nächsten Augenblick durch den Kopf, wenn sie den Main riecht, und ich trat unwillkürlich einen Schritt zur Seite. Oder den Hund! Bestimmt riecht sie den
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