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Maigret zögert

Maigret zögert

Titel: Maigret zögert
Autoren: Georges Simenon
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Pupillen aufzulösen, mit dem Weiß der Augen zu verschmelzen. Nur sein Mund zeigte eine Regung, eine fast kindliche Regung.
    »Nehmen Sie sie mit?« kam es kaum hörbar über seine Lippen.
    »Um den Fragen der Journalisten aus dem Weg zu gehen und damit sie das Haus einigermaßen würdig verlassen kann, lasse ich sie in ihrem eigenen Wagen fahren. Ich werde dem Chauffeur meine Anweisungen geben, und wir werden gemeinsam am Quai eintreffen.«
    Parendon blickte ihn dankbar an.
    »Wollen Sie sie nicht sprechen?« fragte Maigret, obwohl er die Antwort im Voraus wusste.
    »Was sollte ich ihr sagen? Sind die Kinder hier?«
    »Gus ist in der Schule. Ich weiß nicht, ob Bambi in ihrem Zimmer ist oder ob sie heute Nachmittag eine Vorlesung hat...«
    Maigret dachte sowohl an sie, die gleich wegfahren würde, als auch an jene, die blieben. Auch für diese würde das Leben zumindest eine Zeitlang schwierig werden.
    »Hat sie nicht von mir gesprochen?«
    Schüchtern, fast furchtsam sprach der Anwalt die Frage aus.
    »Sie hat mir viel von Ihnen erzählt.«
    Der Kommissar wusste jetzt, dass Madame Parendon die Redensarten, mit denen sie ihren Mann zu beschuldigen suchte, nicht in Büchern gefunden hatte. Sie steckten in ihr drin. Sie hatte eine Art Transfer vorgenommen, indem sie ihre eigenen Schwierigkeiten auf ihn projizierte.
    Mit einem Blick auf die Wanduhr sagte er:
    »Ich warte, bis sie sich angezogen und ihren Koffer gepackt hat. Das Zimmermädchen ist bei ihr.«
    ...wenn der Angeklagte im Zustand der Geistesgestörtheit war oder wenn ihn eine Kraft dazu trieb, der er ...
    Die Menschen, die er, weil es sein Beruf war, verhaftet hatte, waren von den Gerichten freigesprochen oder verurteilt worden. Einige von ihnen, und das war vor allem zu Beginn seiner Karriere, waren zum Tode verurteilt worden, und zwei von diesen hatten ihn gebeten, in ihrer letzten Minute bei ihnen zu sein.
    Er hatte Medizin zu studieren begonnen, das Studium aber leider beim Tod seines Vaters abbrechen müssen. Würde er sich sonst für die Psychiatrie entschieden haben?
    Dann wäre es an ihm gewesen, eine Antwort zu finden auf das Problem:
    ...wenn der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat im Zustand der Geistesgestörtheit war oder wenn ihn eine Kraft dazu trieb ...
    Vielleicht bedauerte er die Unterbrechung seines Studiums heute weniger. Er würde nicht entscheiden müssen.
    Parendon stand auf, ging zögernd und unbeholfen auf ihn zu und streckte ihm seine kleine Hand entgegen.
    »Ich...«
    Aber er konnte nicht sprechen. Sie beließen es dabei, sich schweigend die Hand zu drücken, sich noch einmal fest in die Augen zu sehen. Dann wandte sich Maigret zur Tür und ging hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Er war überrascht, Lucas und Torrence an der Wohnungstür zu sehen. Aber ein Blick seines Mitarbeiters in Richtung Salon erklärte ihm, warum Lucas seinen Posten im Flur verlassen hatte.
    Madame Parendon, mit einem hellen Kostüm, einem weißen Hut und weißen Handschuhen bekleidet, stand in der Mitte des großen Zimmers. Hinter ihr wartete Lise mit einem Koffer in der Hand.
    »Ihr beide setzt euch in den Wagen und wartet auf mich.«
    Er kam sich wie ein Zeremonienmeister vor, und er wusste, dass er diesen Augenblick seines Lebens hinterher hassen würde.
    Er trat zu Madame Parendon, verneigte sich leicht, und sie kam ihm mit ruhiger, natürlicher Stimme zuvor:
    »Ich folge Ihnen.«
    Lise begleitete sie bis zum Fahrstuhl. Der Chauffeur eilte herbei und öffnete den Wagenschlag, wunderte sich, dass Maigret nicht hinter seiner Chefin ins Auto stieg.
    Er verstaute den Koffer im Kofferraum.
    »Sie bringen Madame Parendon direkt zum Quai des Orfevres Nr. 36, fahren durch das Portal und biegen im Hof gleich links ab.«
    »Jawohl, Herr Kommissar.«
    Maigret wartete, bis der Wagen das Spalier der Reporter und Fotografen passiert hatte, die nichts mehr begriffen, und stieg dann, von ihren Fragen bestürmt, zu Lucas und Torrence in den kleinen schwarzen Wagen der Kriminalpolizei.
    »Werden Sie eine Verhaftung vornehmen, Herr Kommissar?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Haben Sie den Schuldigen gefunden?«
    »Ich weiß es nicht, Kinderchen.«
    Er meinte es ernst. Der Wortlaut des Artikels 64 kam ihm ins Gedächtnis, ein Wort ums andere, jedes erschreckend in seiner Ungenauigkeit.
    Aber die Sonne schien weiter, in den Kastanien grünte es weiter, und die Männer, die er rund um den Palast des Staatspräsidenten erkannte, waren noch dieselben.
    Epalinges, den 30.
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