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Maigret zögert

Maigret zögert

Titel: Maigret zögert
Autoren: Georges Simenon
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Sicherheit zurück.
    »Hat er Ihnen nichts davon gesagt?«
    »Nein. Und er hat nicht einen Augenblick lang daran gedacht, Ihr Mann könnte der Mörder sein.«
    »Sie vergessen das Berufsgeheimnis, Kommissar.«
    Allmählich begann ihm ein Licht aufzugehen, aber es war noch vage, weit entfernt.
    »Ich habe auch mit seinem Bruder telefoniert. Er ist in Nizza, wo er an einem Kongress teilnimmt.«
    »War das, nachdem es passiert ist?«
    »Vorher.«
    »War er nicht beunruhigt?«
    »Er hat mir nicht geraten, auf Ihren Mann aufzupassen.«
    »Aber er muss doch wissen...«
    Sie nahm noch eine Zigarette. Sie rauchte eine nach der anderen, sog den Rauch tief ein.
    »Haben Sie noch nie Menschen getroffen, die den Kontakt zum Leben, zur Wirklichkeit verloren haben, die eine totale Wandlung durchmachen, gewissermaßen so, wie wenn man einen Handschuh umstülpt?
    Fragen Sie unsere Freunde und Freundinnen. Fragen Sie sie, ob sich mein Mann noch für menschliche Wesen interessiert. Nur weil ich darauf bestehe, nimmt er manchmal an einem Diner mit Gästen teil, aber er nimmt sie kaum wahr, richtet kaum einmal ein Wort an sie.
    Er hört nicht zu, bleibt verschlossen wie eine Auster.«
    »Sucht er die Freunde und Freundinnen aus, von denen Sie sprechen?«
    »Es sind Bekannte, denen wir es nun mal schuldig sind, sie einzuladen, ganz normale Leute, die ein normales Leben führen.«
    Er fragte sie nicht, was sie unter einem normalen Leben verstand, zog es vor, sie reden zu lassen. Ihr Monolog wurde immer aufschlussreicher.
    »Glauben Sie, er hätte sich letzten Sommer auch nur einmal am Strand oder am Schwimmbecken gezeigt? Er saß die ganze Zeit im Garten unter einem Baum. Was ich als junge Frau für Zerstreutheit hielt, wenn er mir plötzlich nicht mehr zuhörte, ist eine wahrhafte Unfähigkeit, mit anderen Menschen zu leben.
    Das ist der Grund, weshalb er sich in seinem Büro einigelt, weshalb er so selten herauskommt und uns dann wie ein lichtscheues Tier anstiert.
    Sie hatten es zu eilig, zu einem Urteil zu kommen, Monsieur Maigret.«
    »Ich habe noch eine andere Frage an Sie.«
    Er wusste die Antwort im Voraus.
    »Haben Sie seit gestern Abend Ihren Revolver in die Hand genommen?«
    »Warum hätte ich das tun sollen?«
    »Ich will keine Gegenfrage, sondern eine Antwort.«
    »Die Antwort ist nein.«
    »Seit wann haben Sie ihn nicht mehr angerührt?«
    »Seit Monaten. Es ist eine Ewigkeit her, seit ich diese Schublade aufgeräumt habe.«
    »Sie hatten ihn gestern herausgenommen, um ihn mir zu zeigen.«
    »Das hatte ich vergessen.«
    »Da ich ihn aber auch in der Hand gehabt habe, können meine Fingerabdrücke andere verwischt haben.«
    »Sind das Ihre ganzen Überlegungen?«
    Sie sah ihn an, als sei sie enttäuscht, einen so plumpen, so ungeschickten Maigret vor sich zu haben.
    »Sie haben mir weitschweifig über die Isolation Ihres Mannes erzählt und über seinen mangelnden Kontakt zur Wirklichkeit. Aber noch gestern besprach er in seinem Büro mit zwei Geschäftsleuten eine extrem wichtige Angelegenheit, mit Männern, die mit beiden Füßen fest auf der Erde stehen.«
    »Warum, glauben Sie, hat er das Seerecht gewählt? Noch nie in seinem Leben hat er einen Fuß auf ein Schiff gesetzt. Er hat noch nie einen Seemann aus der Nähe gesehen. Alles spielt sich auf dem Papier ab. Alles ist abstrakt, verstehen Sie das nicht? Es ist wieder ein Beweis für das, was ich Ihnen immer wieder sage...«
    Sie stand auf und ging wie jemand, der scharf nachdenkt, im Zimmer auf und ab.
    »Selbst seine Marotte, der berühmte Artikel 64! Beweist das nicht, dass er Angst hat, Angst vor sich selbst, und dass er sich zu beruhigen versucht? Er weiß, dass Sie hier sind, dass Sie mich verhören. In diesem Haus weiß man stets um das Kommen und Gehen der anderen. Wissen Sie, woran er denkt? Er hofft, dass ich die Geduld, die Nerven, die Fassung verliere und mich dadurch an seiner Stelle verdächtig mache.
    Ich wandere ins Gefängnis, und er wäre frei!«
    »Einen Augenblick! Das verstehe ich nicht. Welche neue Freiheit könnte er genießen?«
    »Seine ganze Freiheit!«
    »Um damit was anzufangen, da Mademoiselle Vague nun tot ist?«
    »Es gibt andere Mademoiselle Vagues.«
    »Sie behaupten jetzt also, Ihr Mann würde Ihre Abwesenheit ausnützen, um sich Mätressen zu halten?«
    »Warum nicht? Das ist auch ein Weg, seine Sorgen zu vergessen.«
    »Indem er dann eine nach der anderen umbringt?«
    »Er muss die anderen ja nicht unbedingt töten!«
    »Ich dachte, er
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