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Maigret zögert

Maigret zögert

Titel: Maigret zögert
Autoren: Georges Simenon
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die Dame von Welt. Leicht nach hinten gelehnt, die Lider halb geschlossen, ließ sie ihn ihre Verachtung spüren.
7
    Seit Beginn seines Gesprächs mit Madame Parendon beherrschte sich Maigret. Aber nach und nach wich sein Ärger, und Traurigkeit kam in ihm auf. Er kam sich plump, ungeschickt und auch unbedarft vor, weil er spürte, dass er zu wenig wusste, um ein solches Verhör zu einem guten Ende zu bringen.
    Er ließ sich schließlich in einem der für ihn viel zu zierlichen Sesselchen nieder und sagte, die erloschene Pfeife in der Hand, mit ruhiger, aber dumpfer Stimme:
    »Hören Sie, Madame, wenn Sie auch anderer Meinung sein mögen... Ich bin Ihnen nicht feindlich gesinnt. Ich bin nur ein Beamter, dessen Aufgabe es ist, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Wahrheit herauszufinden.
    Ich werde Ihnen erneut die Frage stellen, die ich vorhin schon an Sie gerichtet habe. Ich bitte Sie nachzudenken, bevor Sie antworten, das Für und das Wider abzuwägen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich, sollte sich hinterher erweisen, dass Sie mich belogen haben, meine Konsequenzen daraus ziehen und beim Untersuchungsrichter einen Haftbefehl beantragen werde.«
    Er beobachtete sie, wobei er sich vor allem auf ihre Hände konzentrierte, die ihre innere Spannung verrieten.
    »Haben Sie heute früh nach neun irgendwann Ihr Schlafzimmer und Ihr Boudoir verlassen und sich, aus welchem Grund auch immer, in den Flügel mit den Büros begeben?«
    Sie zuckte nicht mit der Wimper, wandte die Augen nicht ab. Sie ließ sich Zeit mit Ihrer Antwort, ganz wie er ihr geraten hatte, aber es war klar, dass sie nicht nachdachte, dass ihr Standpunkt ein für alle Mal festgesetzt war. Schließlich sagte sie:
    »Nein.«
    »Sie haben sich nicht in den Fluren gezeigt?«
    »Nein.«
    »Sie haben den Salon nicht durchquert?«
    »Nein.«
    »Sie sind auch nicht zufällig in Mademoiselle Vagues Büro gegangen?«
    »Nein. Und ich füge hinzu, dass ich diese Fragen als Beleidigungen betrachte.«
    »Es ist meine Pflicht, sie zu stellen.«
    »Sie vergessen, dass mein Vater noch lebt...«
    »Ist das eine Drohung?«
    »Ich möchte Sie lediglich daran erinnern, dass Sie nicht in Ihrem Büro am Quai des Orfevres sitzen.«
    »Ziehen Sie es vor, dass ich Sie dorthin bringe?«
    »Unterstehen Sie sich...«
    Er wollte sie lieber nicht beim Wort nehmen. Hin und wieder ging er in Meung-sur-Loire angeln, und einmal hatte er einen Aal gefangen, bei dem er größte Mühe hatte, ihn vom Angelhaken zu lösen. Dauernd war er ihm aus den Fingern geglitten und schließlich im Gras auf der Böschung gelandet, von wo aus er sich in den Fluss hatte retten können.
    Aber hier war er nicht zu seinem Vergnügen! Er war nicht beim Angeln! »Sie leugnen also, Mademoiselle Vague getötet zu haben.«
    Immer wieder dieselben Worte, derselbe Blick eines Menschen, der verzweifelt versucht, ein anderes menschliches Wesen zu verstehen.
    »Sie wissen es genau.«
    »Was weiß ich?«
    »Dass mein armer Mann sie getötet hat.«
    »Aus welchem Grund?«
    »Ich habe es Ihnen gesagt. In seinem Zustand braucht man keinen präzisen Grund...
    Ich will Ihnen etwas anvertrauen, das nur ich und er wissen, weil er es mir vor unserer Hochzeit gestanden hat. Er hatte Angst vor dieser Heirat. Er schob sie immer wieder auf. Ich wusste damals nicht, dass er während dieser Zeit verschiedene Ärzte konsultierte ...
    Wissen Sie, dass er mit siebzehn Jahren versucht hat, sich umzubringen, weil er fürchtete, nicht normal zu sein? Er hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Als das Blut herausspritzte, geriet er in Panik und schrie um Hilfe. Er schützte einen Unfall vor. Wissen Sie, was es bedeutet, wenn ein Mensch zum Selbstmord neigt?«
    Maigret bedauerte, die Flasche Wein nicht mitgebracht zu haben. Tortu und der junge Julien Baud waren sicher überrascht, sie in ihrem Büro zu finden, und hatten sie wahrscheinlich schon geleert.
    »Er hatte Skrupel. Er fürchtete, unsere Kinder könnten nicht normal werden. Als Bambi zu wachsen und zu sprechen begann, beobachtete er sie mit großer Sorge.«
    Vielleicht stimmte das. Sicherlich war etwas Wahres an dem, was sie sagte, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass sie etwas verstellte, dass zwischen den Wörtern, den Sätzen und der Realität eine Kluft war.
    »Die Angst vor Krankheit und vor dem Tod verfolgt ihn, Doktor Martin weiß einiges darüber...«
    »Ich habe heute Morgen mit Doktor Martin gesprochen.«
    Das saß. Aber sie gewann schnell wieder ihre
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