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Maigret verteidigt sich

Maigret verteidigt sich

Titel: Maigret verteidigt sich
Autoren: Georges Simenon
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Barnacle da, ein Inspektor, der schon dort gewesen war, als Maigret bei der Kriminalpolizei anfing. Er hatte immer noch den gleichen Posten, denn es war ihm nicht gelungen, auch nur eine Prüfung zu bestehen.
    Man nannte ihn den Verschnupften, wegen seines ständigen Schnupfens, oder auch den Mann mit den großen Füßen. Er fand nie die für seine empfindlichen Füße passenden Schuhe. Aber da man ihn nicht für schwierige Aufgaben verwenden konnte, schickte man ihn von Tür zu Tür wie einen Vertreter von Staubsaugern, um die Conciergen, ja manchmal die Bewohner einer ganzen Straße zu verhören.
    Armer Barnacle! Maigret hatte sich ihm noch nie so nahe gefühlt. In drei Monaten quittierte der Inspektor den Dienst.
    Und Maigret? Er hob die Hand, um die wachhabenden Polizisten zu grüßen, ging langsam die Treppe hinauf, blieb aber plötzlich stehen. Er hatte das Gefühl, daß sein Herz nicht regelmäßig schlug. Er betrat sein Büro, dessen Tür er hinter sich schloß, und blickte um sich, als sähe er das alles zum erstenmal. Dennoch war ihm hier jede Einzelheit vertraut. Die Dinge hatten mit den Jahren Zeit gehabt, den Eindruck zu erwecken, als ständen sie hier für alle Ewigkeit. Er wollte den Wandschrank öffnen, in dem sich das Waschbecken und die berühmte Cognacflasche für gewisse Klienten befanden. Aber er zuckte mit den Schultern und ging in das Büro der Inspektoren.
    »Was Neues, Kinder?«
    Man blickte ihn an, wie Francois, der Kellner, ihn angeblickt hatte. Lucas erhob sich.
    »Wieder ein Raubüberfall in einem Juwelierladen.«
    »Kümmere dich bitte darum.«
    Er stand da, gleichsam zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit schwebend.
    »Ruf meine Frau an und sag ihr, daß ich nicht zum Mittagessen komme. Und dann, ehe du gehst, bestell ein paar belegte Brötchen und Bier.«
    Seine Mitarbeiter fragten sich gewiß, was mit ihm los war. Aber was konnte er ihnen sagen, da er es selber nicht wußte. Es war das erstemal, daß man sich an ihn heranwagte und von ihm Rechenschaft forderte.
    Er zog seine Jacke aus, öffnete den zweiten Fensterflügel und ließ sich in seinen Sessel fallen. Sechs Pfeifen lagen in einer Reihe auf seinem Schreibtisch. Akten, die er noch nicht aufgeschlagen hatte. Sicherlich auch Schriftstücke, die er unterschreiben mußte. Er suchte sich die größte Pfeife aus, stopfte sie bedächtig, und als er sie ansteckte, schmeckte sie schlecht. Er stand auf, um aus seiner Jacke die Papiere zu holen, die der Polizeipräfekt ihm gegeben hatte.
    Man hatte einen Stenographen zu Monsieur Jean-Baptiste Prieur am Boulevard de Courcelles geschickt, damit er die Aussage der jungen Nichte aufnahm. Dieser Stenograph war wahrscheinlich ein Inspektor. Aus welcher Abteilung hatte man ihn genommen? Berichterstatter beim Staatsrat. Maigret erinnerte sich vage, das Wort Staatsrat über einer monumentalen Tür an der Place du Palais-Royal gelesen zu haben. Eine Behörde, die sehr hoch in der Regierungshierarchie stand; aber wie die meisten Franzosen hatte er nur eine ziemlich verschwommene Vorstellung von ihren Befugnissen.
    Der Staatsrat, schien ihm, wachte über die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze und Dekrete und entschied zweifellos auch über die Zulässigkeit der Klagen von Privatpersonen und Interessengruppen gegen den Staat.
    Monsieur Jean-Baptiste Prieur mußte wahrscheinlich dem Staatsrat die betreffenden Klagen vorlegen, die Akten vorher studieren und eine begründete Ansicht äußern.
    »Aussage von Mademoiselle Nicole Prieur, achtzehn Jahre alt, Studentin, wohnhaft bei ihrem Onkel, Monsieur Jean-Baptiste Prieur, Berichterstatter im Staatsrat, Boulevard de Courcelles 42, am 28. Juni, um neun Uhr dreißig morgens.«
    Boulevard de Courcelles: prächtige Häuser gegenüber dem Park Monceau, breite Portale, Chauffeure, die die Wagen auf den Höfen wuschen, und Conciergen in Uniform wie der Bürodiener des Polizeipräfekten.
    »Nachdem ich am Montagabend mit meinem Onkel gegessen hatte, habe ich mich zu einer Freundin, Martine Bouet, Boulevard Saint-Germain, begeben, deren Vater Arzt ist. Ich habe die Metro genommen, denn mein Onkel brauchte den Wagen…«
    Maigret machte sich Notizen. Nach dem Abendessen am Tage zuvor hatte er sich mit seiner Frau das Fernsehprogramm angesehen, ohne auch nur im geringsten zu ahnen, was ihn ein wenig später erwartete.
    »In Martines Zimmer haben wir den größten Teil des Abends damit verbracht, neue Schallplatten zu hören, die sie zum Geburtstag bekommen hatte.
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