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Maigret verteidigt sich

Maigret verteidigt sich

Titel: Maigret verteidigt sich
Autoren: Georges Simenon
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berichtete.
    In jenem Augenblick war er noch auf festem Boden, zu Hause, in einer Wohnung, in der er schon seit mehr als fünfundzwanzig Jahren wohnte. Neben ihm lag seine Frau, auch sie ganz wirklich.
    Sie reichte ihm seine Pfeife, die er vorm Schlafengehen nicht ausgeklopft hatte, und zündete ein Streichholz an. Sie wußte, daß er, wenn er plötzlich aus dem Schlaf gerissen wurde, gern ein paar Züge aus seiner Pfeife rauchte, um ganz zu sich zu kommen.
    Auch dieses Büro war schon lange seines. Er hatte es für wirklich gehalten, aber auch das war schon nicht mehr so sicher. Wer weiß, was geschehen würde, wenn Maigret dem Polizeipräfekten seine Version der Ereignisse überreichte?
    Was hatte ihm der mächtige Chef gesagt, der seit zwei Jahren versprach, Paris mit eisernem Besen zu kehren, und der jeden Morgen im Stadion Roland-Garros Tennis spielte, wo er sich bereitwillig fotografieren ließ?
    Beiläufig hatte er sich boshaft ungerecht über Maigrets Prominenz geäußert. Dabei war der Kommissar auf sie niemals erpicht gewesen. Im Gegenteil. Wie viele Male waren seine Ermittlungen dadurch erschwert worden, daß man ihn überall erkannte? War es seine Schuld, wenn die Journalisten eine Legende um ihn herum aufgebaut hatten?
    Nun gut. Woran hatte er gerade gedacht? Ach ja… Der Polizeipräfekt hatte etwa folgendes bemerkt:
    »Sie sind also, weil eine Unbekannte Ihnen eine rührende und ziemlich unwahrscheinliche Geschichte erzählt hat, mitten in der Nacht aufgestanden und sind in das Bistro geeilt, das sie Ihnen angegeben hatte. Als Kriminalkommissar ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, das nächste Kommissariat anzurufen und einen Inspektor dorthin zu schicken, damit er sich mit dieser Affäre befaßte…«
    Er hatte nicht so ganz unrecht. Madame Maigret hatte ihm fast das gleiche gesagt.
    »Warum schickst du nicht einen Inspektor hin?«
    Eben weil die Affäre nicht klar war, weil die Tatsachen, die man ihm am Telefon berichtete, etwas wirr waren. Ist das Leben nicht oft wirr? Er hatte wieder einmal den Beweis dafür, nur mit dem Unterschied, daß er sich diesmal inmitten des Wirrwarrs befand.
    Einen Punkt für den Polizeipräfekten. Nicht auf ihn war Maigret wütend. Er hatte keine Lust mehr, ihm mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Er war nur eine Nebenfigur in der Affäre, und auch er stand jetzt als Dummkopf da.
    Er leerte sein Glas, füllte es neu, stellte es neben sich und steckte sich gemächlich eine neue Pfeife an, ehe er sich über die maschinegeschriebenen Blätter beugte.
    »Er hat sich Weißwein bestellt. Der Wirt hat ihn gefragt:
    ›Eine halbe Flasche?‹
    Er hat genickt, und man hat ihm ein Glas und eine kleine Flasche gebracht. Er hat mich aufgefordert, auch davon zu trinken, aber ich hatte ja gerade Kaffee getrunken. Ich weiß nicht mehr, wie es dann weiterging. Er hat etwa gesagt:
    ›Die meisten Leute machen sich eine falsche Vorstellung von unserem Beruf. Sie auch, möchte ich wetten.‹
    ›Man spricht vor allem von Ihren Verhören, von den Geständnissen, die Sie schließlich erhalten…‹
    ›Das ist das Ende. Aber was zählt, ist die Routinearbeit. Ich bin heute abend übrigens auf der Suche nach einem gefährlichen Kerl, den ich fast mit Sicherheit in einer der Bars des Viertels zu finden hoffe.‹«
    Trotz des rührenden Tons hielt das, was sie am Telefon berichtet hatte – die Geschichte von ihrer Freundin und dem unheimlichen Marco – einer Prüfung eher stand als die Worte, die sie Maigret in den Mund legte.
    »›Wenn es Ihnen Spaß macht, mich zu begleiten…‹
    Er ist aufgestanden und war offensichtlich überzeugt davon, daß ich mitkam. Er hat Geld auf den Tisch geworfen, und als ich meinen Kaffee bezahlen wollte, sagte der Wirt, das sei bereits erledigt.
    Ich bin mit ihm hinausgegangen.
    ›Warten Ihre Eltern auf Sie?‹
    ›Meinem Onkel ist es gleich, wann ich nach Hause komme. Er vertraut mir.‹
    ›Dann kommen Sie…‹
    Ich habe der Neugier nachgegeben. Ich erinnere mich, daß wir durch die Rue Jacob gegangen und dann in einer kleinen Straße, deren Namen ich vergessen habe, eine Bar betreten haben, in der sich viele Leute um die Theke drängten.
    Ich betrachtete vor allem die Gesichter um mich herum. Ob der Verbrecher, den der Kommissar suchte, einer der Gäste war? Er hat mir ein Glas gereicht. Es war Whisky. Ich habe gezögert, ihn zu trinken, aber ich hatte Durst. Ich nehme an, mein Glas ist dann ohne mein Wissen wieder gefüllt worden, so daß ich zwei
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