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Maigret und die alte Dame

Maigret und die alte Dame

Titel: Maigret und die alte Dame
Autoren: Georges Simenon
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Tage durchgelüftet wurde, meine ich immer, den Tod zu riechen.«
    Durch die Lindenzweige drangen ein paar spärliche Sonnenstrahlen ins Zimmer und fielen als tanzende Kringel auf die Möbel.
    »Wenn ich geahnt hätte, dass eines Tages der berühmte Kommissar Maigret in diesem Sessel sitzen würde.«
    »Sagten Sie nicht, dass Sie Artikel über mich aufgehoben haben?«
    »Stimmt. Ich habe viele ausgeschnitten, so wie ich früher in der Zeitung meines Vaters das Feuilleton ausschnitt.«
    »Haben Sie sie hier?«
    »Ich hoffe, ich finde sie.«
    Er hörte ein Zögern aus ihrer Stimme heraus. Sie ging eine Spur zu selbstverständlich an einen alten Sekretär, in dem sie vergeblich herumwühlte, dann in einer geschnitzten Truhe.
    »Ich glaube, ich habe sie in meinem Zimmer.«
    Sie wollte die Treppe hinauf.
    »Machen Sie keine Umstände.«
    »Aber ich bitte Sie! Es liegt mir selbst daran, sie zu finden. Ich errate, was Sie denken. Sie meinen, ich habe Ihnen das in Paris nur erzählt, um Ihnen zu schmeicheln und Sie zu überreden, hierherzukommen. Es stimmt, dass ich manchmal schwindle, wie alle Frauen, aber ich schwöre Ihnen, diesmal nicht.«
    Er hörte, wie sie im ersten Stock hin und her ging, und als sie wieder herunterkam, spielte sie, nicht gerade überzeugend, die herb Enttäuschte.
    »Unter uns gesagt, Rose war nicht sehr ordentlich, sie war sogar das, was ich eine Schlampe nenne. Morgen werde ich auf dem Speicher suchen. Auf jeden Fall werde ich die Artikel finden, bevor Sie Etretat verlassen. Jetzt nehme ich an, dass Sie eine Menge Fragen an mich haben, und ich werde mich ruhig in meinen Lehnstuhl setzen. Auf Ihr Wohl, Monsieur Maigret!«
    »Auf Ihr Wohl, Madame!«
    »Finden Sie nicht, dass ich etwas sonderbar bin?«
    Er schüttelte höflich den Kopf.
    »Sind Sie mir nicht böse, dass ich Sie aus Ihrem Quai des Orfèvres entführt habe? Eigentlich seltsam, dass mein Stiefsohn die gleiche Idee wie ich hatte, nicht wahr? Als Abgeordneter, worauf er sehr stolz ist, konnte er die Sache natürlich anders anpacken und wandte sich direkt an den Minister. Sagen Sie mir ganz offen: Sind Sie meinet- oder seinetwegen gekommen?«
    »Natürlich Ihretwegen.«
    »Glauben Sie, dass ich irgendetwas zu befürchten habe? Merkwürdig. Ich kann diese Drohung einfach nicht ernst nehmen. Man sagt immer, alte Frauen seien ängstlich; ich frage mich warum, denn wie viele alte Frauen wie ich leben allein und an einsamen Orten. Rose schlief hier, aber sie war es, die Angst hatte und mich nachts weckte, wenn sie glaubte, Geräusche zu hören. Bei Gewitter weigerte sie sich, mein Zimmer zu verlassen, und blieb die ganze Nacht zitternd im Nachthemd in meinem Lehnstuhl sitzen und betete vor sich hin.
    Vielleicht habe ich deswegen nie Angst gehabt, weil ich nicht weiß, wer mir etwas Böses tun könnte. Ich bin nicht einmal mehr reich. Jeder hier in der Gegend weiß, dass ich von einer bescheidenen Rente lebe, die mir nach dem Bankrott blieb. Dieses Haus ist ebenfalls nur auf Lebenszeit gemietet, und niemand wird es erben. Ich glaube nicht, dass ich jemals irgendjemandem Böses zugefügt habe...«
    »Trotzdem ist Rose tot.«
    »Ja. Vielleicht halten Sie mich für dumm oder egoistisch, aber je mehr Zeit darüber verstreicht, und sie nun beerdigt ist, desto schwerer kann ich es glauben. Sie werden sicher gleich das Haus besichtigen wollen. Nebenan ist das Esszimmer. Die andere Tür geht ins Gästezimmer, wo meine Tochter geschlafen hat. Außer der Küche, der Waschküche und dem Geräteschuppen gibt es im Erdgeschoß keine weiteren Räume, und der erste Stock ist noch kleiner, denn über der Küche und der Waschküche befinden sich keine Zimmer.«
    »Besucht Sie Ihre Tochter oft?«
    Sie verzog resigniert den Mund.
    »Einmal im Jahr zu meinem Geburtstag. Die übrige Zeit sehe und höre ich nichts von ihr. Sie schreibt mir auch kaum mehr.«
    »Soviel ich weiß, ist sie mit einem Zahnarzt verheiratet?«
    »Ich nehme an, dass Sie über die ganzen Familiengeschichten Bescheid wissen müssen, das ist wohl nicht zu ändern. Soll ich offen mit Ihnen reden, Monsieur Maigret, oder soll ich Ihnen als wohlerzogene Dame antworten?«
    »Muss diese Frage sein?«
    »Haben Sie Arlette schon getroffen?«
    »Noch nicht.«
    Sie holte aus einer Schublade abgegriffene Umschläge mit Fotografien, in jedem steckte eine bestimmte Sorte Bilder.
    »Sehen Sie! Das ist sie mit achtzehn. Man sagt, dass sie mir ähnlich sei; äußerlich mag das wohl stimmen.«
    Es war wirklich
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