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Maigret und die alte Dame

Maigret und die alte Dame

Titel: Maigret und die alte Dame
Autoren: Georges Simenon
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kannte; es sah aus, als ob die alte Dame alle Samentüten ausprobieren wollte.
    Das Haus, dessen Schieferdach er von der Straße aus durch die Bäume gesehen hatte, lag jetzt versteckt. Der Gartenweg verlief im Zickzack, und irgendwann hätte er nach rechts anstatt nach links abbiegen müssen, denn nach einigen Schritten stand er auf einem Hof mit großen rosafarbenen Steinplatten, hinter dem Küche und Waschküche lagen.
    Dort stand eine kräftige, schwarzgekleidete Bäuerin mit schwarzem, graumeliertem Haar, mit derber Haut und strengem Blick und war damit beschäftigt, eine Matratze auszuklopfen. Um sie herum im Freien ein Durcheinander von Schlafzimmermöbeln: ein offener Nachttisch, ein Stuhl mit Rohrgeflecht, ein auseinandergenommenes Bett; über einer Wäscheleine hingen die Vorhänge und die Bettdecken. Die Frau musterte ihn, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen.
    »Ist Madame Besson zu Hause?«
    Sie zeigte nur auf die Fenster mit den kleinen Scheiben, um die sich wilder Wein rankte; als er näherkam, sah er Valentine in ihrem Salon sitzen. Sie ahnte nicht, dass er schon da war, denn sie konnte nicht wissen, dass er über den Hof kommen würde. Sie war offensichtlich dabei, sich auf seinen Empfang vorzubereiten. Nachdem sie auf einem kleinen, runden Tisch ein Silbertablett mit einer Kristallkaraffe und Gläsern abgestellt hatte, trat sie etwas zurück, um sich von der Wirkung zu überzeugen. Dann schaute sie an sich herunter und ordnete ihre Frisur vor einem alten Spiegel mit geschnitztem Rahmen.
    »Sie brauchen nur zu klopfen«, sagte die Bäuerin unfreundlich.
    Er hatte nicht bemerkt, dass eines der Fenster eine Glastür war, klopfte dort an, worauf sich Valentine überrascht umdrehte, aber sofort ein passendes Lächeln fand.
    »Ich wusste, dass Sie kommen würden, aber ich hatte gehofft, Sie am Haupteingang begrüßen zu können, sofern bei diesem Haus dieses Wort überhaupt angebracht ist.«
    Vom ersten Augenblick an war er ebenso beeindruckt wie in Paris. Sie war so lebhaft und temperamentvoll, dass man sie für eine junge Frau halten konnte, die sich für ein Laienspiel als alte Dame verkleidet hat. Und doch versuchte sie nicht, sich jünger zu geben, im Gegenteil, der Schnitt ihres schwarzen Samtkleides, ihre Frisur, das breite Samtband um ihren Hals passten zu ihrem Alter.
    Als er sie so aus der Nähe betrachtete, fielen ihm die feinen Fältchen und der welke Hals und ihre mageren Hände auf, die ihr Alter verrieten.
    »Darf ich Ihnen Ihren Hut abnehmen, Herr Kommissar? Setzen Sie sich in den Sessel, der Ihnen bequem ist. Sie kommen sich sicher sehr beengt vor in meinem Puppenhaus, nicht wahr?«
    Ihr Charme lag vielleicht in dem Eindruck, dass sie sich immer über sich selber lustig zu machen schien.
    »Man hat Ihnen sicher gesagt oder wird es Ihnen sagen, dass ich verrückt bin, und es stimmt auch, dass ich voller Schrullen stecke. Sie können sich nicht vorstellen, wie einen die Marotten in Beschlag nehmen, wenn man allein lebt. Probieren Sie doch diesen Sessel am Fenster? Machen Sie mir die Freude und rauchen Sie Ihre Pfeife. Mein Mann rauchte von morgens bis abends Zigarren, und nichts riecht so penetrant in einem Haus wie Zigarrenqualm. Unter uns gesagt, er machte das, glaube ich, gar nicht so gerne. Er hatte erst sehr spät damit angefangen, als er schon über vierzig war, genau zu der Zeit, als die Juva -Creme berühmt wurde.«
    Und schnell, wie um ihre versteckte Bosheit zu entschuldigen, fügte sie hinzu:
    »Wir haben alle unsere Schwächen. Ich nehme an, Sie haben schon im Hotel Kaffee getrunken. Vielleicht darf ich Ihnen einen Calvados anbieten, der schon über dreißig Jahre alt ist.«
    Er merkte, dass es ihre Augen waren, die ihr außer ihrer lebhaften Art dieses jugendliche Aussehen gaben. Ihr Blau war heller als der Septemberhimmel am Meer, und sie verloren nie ein verwundertes Erstaunen, das zu Alice im Wunderland gepasst hätte.
    »Ich werde auch einen Schluck nehmen, damit Sie nicht allein trinken müssen, unter der Bedingung allerdings, dass Sie es nicht unpassend finden. Sie sehen, ich stehe zu meinen kleinen Schwächen. Ich bin gerade erst von der Beerdigung der armen Rose zurückgekommen. Es war nicht leicht, Mutter Leroy dazu zu bringen, mir zu helfen. Sie haben sicher bemerkt, dass die Möbel, die draußen stehen, in Roses Zimmer gehören. Ich fürchte den Tod, Herr Kommissar, und alles, was mit ihm zusammenhängt. Solange das Haus nicht von oben bis unten geputzt ist und einige
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