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Die Beute

Die Beute

Titel: Die Beute
Autoren: Lisa J. Smith
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Es war weniger die Jagd. Es war das Töten.
    Das war es, was Gordie Wilson an einem sonnigen Maimorgen in die Vorhügel von Santa Ana trieb. Das war der Grund, warum er die Schule schwänzte, obwohl er vielleicht schon mit der nächsten gefälschten Entschuldigung nicht mehr durchkommen würde. Es waren nicht die mit Wildblumen übersäten Hügel, die himmelblauen Lupinen oder der duftende purpurne Salbei. Es war dieses dumpfe Klatschen, wenn Blei auf Fleisch traf.
    Das Töten.
    Gordie bevorzugte eigentlich Großwild, aber Kaninchen waren immer zu haben – wenn man wusste, wie man den Rangern aus dem Weg ging. Bis jetzt war er noch nie erwischt worden.
    Er hatte schon immer gern getötet. Als er sieben gewesen war, hatte er mit seiner Luftpistole Rotkehlchen und Stare erlegt. Mit neun waren es Erdhörnchen und eine Schrotflinte gewesen. Mit zwölf hatte ihn sein Dad auf einen echten Jagdausflug mitgenommen und sie hatten mit einer alten .243-Winchester-Patrone Weißwedelhirsche gejagt.
    Das war etwas ganz Besonderes gewesen. Aber Töten
war immer etwas Besonderes. »Eine gute Jagd endet nie«, wie sein Dad stets sagte. Jeden Abend im Bett dachte Gordie an das Pirschen, das Schießen, den elektrisierenden Augenblick des Todes. Er jagte sogar in seinen Träumen.
    Während er nun das trockene Flussbett entlangging, flackerte plötzlich eine Erinnerung in ihm auf wie eine kleine Flammenzunge. Ein Albtraum. Nur ein einziges Mal hatte Gordie geträumt, dass er am falschen Ende des Gewehrs stand – dass er derjenige war, hinter dem die Hunde her waren, derjenige, der gejagt wurde. Eine Jagd, die erst endete, als er schweißgebadet aufgewacht war.
    Ein dummer Traum. Er war kein Kaninchen, er war ein Jäger. An der Spitze der Nahrungskette. Er hatte im letzten Jahr einen Elch erwischt.
    Um Großwild wie dieses zu jagen, musste man genau beobachten, studieren, planen. Aber Großwild war es wert. Im Gegensatz zu Kaninchen. Gordie mochte es einfach, hier heraufzukommen und sie aus dem Gebüsch zu jagen.
    Dies war ein guter Ort. Ein mit Salbei bedeckter Hang, der zu einer Gruppe von Eichen und Zypressen führte, mit einigen dichten Büschen als Deckung. Unter diesen Büschen musste einfach ein Häschen sein.
    Und dann sah er es. Mitten im Freien. Ein kleines Wüstenkaninchen, das sich in der Nähe eines Grasbüschels sonnte. Es hatte ihn entdeckt, blieb aber ruhig.
Wie festgewachsen. Wun-der-bar, dachte Gordie. Er wusste, wie man sich an ein Kaninchen anschlich, wie man so nah herankam, dass man es praktisch mit bloßen Händen fangen konnte.
    Der Trick bestand darin, das Kaninchen in dem Glauben zu lassen, man würde es nicht sehen. Indem man es nur von der Seite anschaute, indem man im Zickzack ging, während man sich ihm näherte …
    Solange seine Ohren sich nicht aufrichteten und zuckten, war man auf der sicheren Seite.
    Gordie schob sich vorsichtig um einen Beerenstrauch herum und spähte aus dem Augenwinkel. Er war jetzt so nah, dass er die Schnurrhaare des Kaninchens sehen konnte. Pures Glück erfüllte ihn und ihm war wohlig warm. Es würde stillhalten.
    Gott, das war der aufregende Teil, der guuute Teil. Mit angehaltenem Atem hob er das Gewehr und zielte. Machte sich bereit, sanft auf den Abzug zu drücken.
    Plötzlich stob es davon, eine graubraune Wolke, in der ein weißer Schwanz leuchtete. Es entkam ihm!
    Gordies Gewehr knallte, die Kugel schlug direkt hinter dem Kaninchen ein und wirbelte Staub auf. Das Kaninchen hoppelte davon, hinunter in das trockene Flussbett, wo es unter den Rohrkolben verschwand.
    Verdammt! Er wünschte, er hätte einen Hund mitgenommen. Wie den Beagle seines Dads, Aggie. Hunde waren verrückt auf Jagen. Gordie liebte es, sie ausgiebig dabei zu beobachten und darauf zu warten, dass
das Kaninchen – vom Hund in die Enge getrieben – im Kreis herumrannte. Es war eine Schande, eine gute Jagd vorschnell zu beenden. Sein Dad ließ das Kaninchen manchmal laufen, wenn es schnell genug flitzte, aber das war verrückt. Welchen Nutzen hatte eine Jagd, wenn man nicht tötete?
    Es gab Zeiten, da dachte Gordie über sich selbst nach.
    Er spürte vage, dass seine Art zu jagen irgendwie anders war als die seines Dads. Wenn er allein war, tat er Dinge, von denen er niemals jemandem erzählte. Mit fünf hatte er immer Franzbranntwein auf Ohrenkneifer gegossen. Sie hatten sich lange Zeit gewunden, bevor sie gestorben waren. Selbst jetzt noch überfuhr er ein Opossum oder eine Katze auf der Straße,
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