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Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Titel: Maigret - 18 - Maigret in Nöten
Autoren: Georges Simenon
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gerührt. Die Frauen gingen von der Terrasse, weil sie froren, und Decharme, der oben an der Brüstung stand, war offensichtlich unschlüssig, ob er sich den beiden Männern anschließen sollte, worauf er im Grunde schrecklich erpicht war.
    Maigret riss den ersten Umschlag auf, auf dem sein Name stand und in dem sich der Brief befand, den Gassin vorhin geschrieben hatte. Er war an Madame Emma Chatereau, Café des Maraîchers, Larzicourt (Haute-Marne) adressiert.
    »Man kann jetzt im Wohnzimmer Licht machen«, murmelte Ducrau, der keine Fragen zu stellen wagte.
    »Ich sehe noch gut genug.«
    Der Brief war mit violetter Tinte auf Papier vom Wirtshaus geschrieben, die Schrift war anfangs sehr klein, gegen Ende doppelt so groß.
     
    Liebe Emma,
    Ich schreibe Dir, damit Du weißt, dass es mir gutgeht, wie hoffentlich auch Dir, wenn Dich dieser Brief erreicht. Ich wollte Dich aber doch wissen lassen, dass ich, falls etwas passiert, zu Hause neben unserer Mutter begraben werden möchte, und nicht in Charenton, wie ich ursprünglich wollte. Man braucht dann für das Grab auch nicht weiter zu bezahlen. Was das Geld auf der Sparkasse betrifft, findest Du die Sparhefte und alle Papiere in der Küchenschublade. All das ist für Dich. Du wirst endlich Dein Haus aufstocken können. Im Übrigen ist alles in Ordnung, zumal ich weiß, was ich zu tun habe.
    Dein Bruder, auf ewig.
     
    Maigret stand da, blickte von dem kleinen Blatt auf, musterte dann von unten bis oben Ducrau, der so tat, als denke er an etwas anderes, und immer noch seine Pfeife rauchte.
    »Schlechte Neuigkeiten?«
    »Es ist der Brief, den Gassin vorhin geschrieben hat.«
    Ducrau nahm sich zusammen, schlug die Beine übereinander, nur um sie gleich wieder voneinander zu nehmen, beobachtete von weitem seinen Schwiegersohn und brummte endlich, wobei er sich bemühte, sich seine Ungeduld nicht anmerken zu lassen:
    »Kann ich ihn lesen?«
    »Nein.«
    Maigret faltete den Brief zusammen und steckte ihn in seine Brieftasche; unwillkürlich blickte er mehrmals kurz zum Gitter, hinter dem man nun nur noch ein dunkles Nichts erkannte.
    »An wen ist er gerichtet?«
    »An seine Schwester.«
    »An Emma? Was ist aus ihr geworden? Sie hat eine Weile auf dem Schiff ihres Bruders gelebt, und ich glaube sogar, ich war ein wenig in sie verliebt. Dann hat sie einen Lehrer aus der Haute-Marne geheiratet, und der ist, soviel ich weiß, kurz danach gestorben …«
    »Sie führt einen Gasthof in ihrem Dorf.«
    »Nun ist es wirklich kühl, finden Sie nicht? Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir reingehen?«
    Ducrau machte im Wohnzimmer Licht, schloss die Tür hinter sich, wollte auch gleich die Fensterläden schließen, überlegte es sich dann aber anders.
    »Darf ich nicht wissen, was Gassin seiner Schwester schreibt?«
    »Nein.«
    »Habe ich etwas zu befürchten?«
    »Das wissen Sie besser als ich.«
    Ducrau lächelte, ging im Wohnzimmer hin und her – offenbar wusste er nicht recht, wohin er sich setzen sollte –, und Maigret, schon ganz heimisch, ging in den Garten die Cognacflasche und die Gläser holen.
    »Stellen Sie sich zwei Männer vor«, sagte er und schenkte sich zu trinken ein. »Einen, der schon getötet hat und folglich Gefahr läuft, den Rest seiner Tage hinter Gittern zu verbringen, wenn nicht schlimmer, und einen andern, der in seinem Leben noch nie jemandem etwas zuleide getan hat. Sie suchen sich wie zwei kampflustige Hähne. Welcher ist nach Ihrer Ansicht der Gefährlichere?«
    Dem Reeder fiel dazu nichts weiter ein, als sein breites Lächeln noch breiter werden zu lassen.
    »Bleibt die Frage, wer Bébert erhängt hat. Was sagen Sie dazu, Ducrau?«
    Maigret gab sich immer noch herzlich, aber jedes Wort, jede Silbe, die er aussprach, hatte ein neues Gewicht, als wäre jede einzelne äußerst signifikant.
    Ducrau hatte es sich endlich in einem Sessel bequem gemacht, die kurzen Beine ausgestreckt, die Pfeife auf der Brust. In dieser Stellung hatte er ein Dreifachkinn, und gleichzeitig schlossen sich seine Lider halb über seinen Augen.
    »Wissen Sie, zu welch ganz einfacher Frage wir so gelangen? Wer hat seinerzeit das schlichte Gemüt Alines missbraucht und ihr ein Kind gemacht?«
    Diesmal schnellte sein Gegenüber blitzartig auf, und das Blut schoss ihm in die Wangen.
    »Und?«, fragte er.
    »Nicht Sie, das versteht sich von selbst. Und auch nicht Gassin, der sich immer für ihren Vater gehalten hat. Ebenso wenig Ihr Sohn Jean, der eine leidenschaftliche Freundschaft für
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