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Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Titel: Maigret - 18 - Maigret in Nöten
Autoren: Georges Simenon
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den Namen ›La Toison d’Or‹. Rechts und links dahinter hatten in mindestens fünf Reihen weitere Kähne angelegt, die einen mit offenem Laderaum, um am nächsten Tag von einem der Kräne entladen zu werden, andere bereits mit dem Bug Richtung Schleusentor, wo sie frühmorgens auslaufen würden, und wieder andere, die zu keinem erkennbaren Zweck hier angelegt hatten, wie es immer welche in den Häfen gibt.
    Der Alte, ganz allein auf der Rampe, wo nichts sich bewegte, bekam den Schluckauf. Er betrat den Steg, der sich unter seinem Gewicht bog. In der Mitte angelangt, fiel es ihm ein, sich umzudrehen, wer weiß, vielleicht um die Fenster des Lokals zu sehen. Es wäre ihm auch beinahe gelungen, aber im letzten Moment kam er ins Schwanken, bog die Hüften durch, und schon lag er im Wasser, die eine Hand an der Planke festgekrallt.
    Er hatte nicht geschrien. Er hatte überhaupt keinen Laut von sich gegeben, war nur aufgeklatscht, und das leise Gluckern erstarb sofort, denn der Mann strampelte nicht einmal. Die Stirn in Falten gelegt, als gälte es, fest nachzudenken, drückte er die Handgelenke durch, um sich auf die Planke hochzuziehen. Es gelang ihm nicht, aber er gab nicht auf und versuchte es wieder, mit starrem Blick und rasselndem Atem.
    Ein Liebespaar, an die Quaimauer gepresst, lauschte atemlos, ohne sich zu rühren. Man hörte ein Auto in Charenton hupen.
    Und dann plötzlich ein Aufheulen, ein Entsetzensschrei ohnegleichen, der die Stille zerriss.
    Es war der Alte im Wasser, der sich, von Panik ergriffen, die Kehle aus dem Hals schrie. Nun hatten seine Rettungsversuche nichts Vernünftiges mehr. Er strampelte wie ein Wahnsinniger, und das Wasser sprudelte unter seinen Fußtritten.
    Auch in der Umgebung wurden nun Stimmen laut. In einem der Kähne rührte sich etwas. Anderswo sagte eine schläfrige Frauenstimme:
    »Gehst du nachsehen?«
    Oben auf der Uferstraße gingen die Türen der beiden Lokale auf. Vor der Quaimauer löste sich das Liebespaar voneinander, und der Mann flüsterte:
    »Geh schnell nach Hause!«
    Er machte einige Schritte und sagte dann laut:
    »Wo kommt das her?«
    Er versuchte sich anhand der Hilferufe zu orientieren. Andere Stimmen näherten sich, und einige Leute lehnten sich schon über die Brüstung.
    »Was ist los?«
    Und der junge Mann antwortete im Laufschritt:
    »Ich weiß noch nicht. Hier lang … Im Wasser …«
    Seine Gefährtin blieb, wo sie war, die Hände gefaltet, und traute sich weder vor noch zurück.
    »Ich sehe ihn! … Schnell, kommen Sie! …«
    Das Geschrei wurde leiser und ging in ein fürchterliches Röcheln über. Endlich sah der Mann die an den Steg gekrallten Hände, den Kopf, der aus dem Wasser ragte, aber er wusste nicht, wie er es anstellen sollte, und so wartete er, der Treppe zugewandt, die zum Quai hinaufführte, und wiederholte immer nur:
    »Schnell, kommen Sie …«
    Jemand bemerkte ohne Anteilnahme:
    »Es ist Gassin.«
    Insgesamt sieben waren herbeigekommen, die fünf aus der einen und die beiden aus der anderen Schenke.
    »Komm näher … Du nimmst ihn beim einen Arm und ich beim andern …«
    »Achtung, der Steg!«
    Er bog sich unter ihrem Gewicht. In der Deckluke des Kahns erschienen die Umrisse einer weißen Gestalt mit blonden Haaren.
    »Hast du ihn?«
    Der Alte schrie nicht mehr. Er war aber noch bei Bewusststein. Er starrte vor sich hin und schien nichts zu begreifen. Er tat auch nicht das Geringste, um seinen Rettern zu helfen.
    Ruckweise zogen sie ihn aus dem Wasser, und er war so nass, dass sie ihn zur Uferböschung schleppen mussten.
    Die weiße Gestalt kam über den Steg gelaufen. Es war eine junge Frau, barfuß, in einem langen Nachthemd, unter dem sich im Mondlicht die Umrisse ihres Körpers abzeichneten. Sie war die Einzige, die nun noch ins sich allmählich glättende Wasser schaute, und nun kreischte sie plötzlich auf, ihre Umrisse schienen zu verschwimmen, eine fahle Gestalt wie eine Meduse.
    Zwei der Männer, die sich um den Schiffer kümmerten, drehten sich um, und als sie den milchigen Fleck im schwarzen Wasser erblickten, spürten sie beide den gleichen kalten Schauer im Nacken.
    »He, ihr da drüben … Da schwimmt …«
    Alle wandten sich um, und über dem Anblick vergaßen sie den Kapitän, der auf dem von Rinnsalen durchzogenen Pflaster lag.
    »Bring den Bootshaken!«
    Die junge Frau holte einen vom Schiffsdeck und reichte ihn herüber. Alle waren wie verwandelt. Die Stimmung hatte völlig umgeschlagen. Selbst die Temperatur war
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