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Magier unter Verdacht

Magier unter Verdacht

Titel: Magier unter Verdacht
Autoren: Boris Pfeiffer
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Jennys Blick auf das grüne Männchen mit dem großen Hut, das immer noch leuchtete. Und das plötzlich rot wurde.
    Auf einmal wusste Jenny wieder genau, wo sie war. Sie lag auf der Landsberger Allee und ein Auto hatte sie angefahren. Sie lag auf der Straße, die sie besser kannte als jede andere. Denn hier wohnte sie in einem der Hochhäuser. Und immer, wenn sie oben am Fenster stand, sah sie von dort, dass hier jede Minute hunderte von Autos vorbeikamen. Und die fuhren über die Ampel, wenn sie Grün hatten. Und deswegen musste sie sofort aufstehen.
    Jenny rappelte sich hoch.
    Sie blickte nach rechts. Auf der anderen Seite der Ampel kamen die nächsten Autos schon. Wie eine breite Wand schoben sie sich auf sie zu.
    Einen Augenblick später stand Jenny am Straßenrand, ohne dass sie richtig wusste, wie sie dahin gekommen war, und sah zurück auf die Straße. Hinter ihr türmten sich die Hochhäuser auf. Und vor ihr flogen unter den Rädern der vorbeizischenden Autos Kartoffeln und Glasscherben und Apfelmus umher. Ein großer weißer Fleck Quark breitete sich auf dem Asphalt aus. Dann zermatschten ihn die Räder und der Quark wurde schwarz. Wie Dreck, wie schmutziges Regenwasser, wie nichts …
    Jenny sah die zerfetzten Einkaufstüten unter den Autos davonflattern. Flapp, flapp, flapp flogen sie hinter einem Auto kurz in die Höhe und wurden vom nächsten mitgerissen.
    Jenny schluchzte.
    Und plötzlich dachte sie: Wenn der Fahrer nur ein winziges Stück näher an mir dran gewesen wäre, dann wäre ich jetzt vielleicht wie eine zerrissene Plastiktüte oder wie der zermatschte Quark. Und dann dachte sie: Ich wäre vielleicht tot.
    Augenblicklich überkam sie ein schrecklicher Zorn. Sie hob den Kopf und sah in die Ferne. Aber der gelbe Raser mit der Flammenspur war schon verschwunden.
    Und das war Absicht gewesen. Er hatte Gas gegeben, anstatt vor der roten Ampel zu bremsen. Und er hatte dazu noch gehupt.
    Jenny verstand nicht, warum der Autofahrer das getan hatte, aber sie wusste, dass sie nur knapp mit dem Leben davongekommen war.
    In diesem Moment klingelte es in ihrer Jackentasche: Ring, ring, ring … Der alte Klingelton, den ihre Oma so sehr mochte und den Jenny deshalb auf ihrem Handy eingestellt hatte.
    Jenny biss sich auf die Lippen, die ganz salzig und ein bisschen nach Blut schmeckten. Dann ging sie an den Apparat.
    „Hallo?“, sagte sie und wunderte sich, wie dünn ihre Stimme klang.
    „Jennymädchen, hier ist Addi!“, rief es fröhlich aus dem Lautsprecher. „Ağan und ich sind gleich am Alexanderplatz. Bist du schon auf dem Weg?“
    „Nein“, hörte Jenny sich sagen. „Ich stehe an der Fußgängerampel bei mir vorm Haus. Könnt ihr sofort herkommen?“
    „Jenny?!“ Addis Stimme klang plötzlich ganz zart und besorgt. „Was ist denn los? Ist alles okay?“
    „Nein“, sagte Jenny. „Ich bin fast überfahren worden. Das war echt knapp. Kommt sofort her! Mir geht es total schlecht.“

Als Addi Felsfisch und Ağan Enc angerannt kamen, saß Jenny wie ein Häufchen Elend auf der Wartebank der Tramhaltestelle Arendsweg.
    Jenny hatte die beiden vor einigen Wochen im KaDeWe kennengelernt, wo ihre Mutter als Köchin in der Mitarbeiterkantine arbeitete. Seitdem waren die Freunde in einige rätselhafte Kriminalfälle hineingeraten und hatten sich als erfolgreiche Detektive bewiesen. Jenny, Ağan und Addi nannten sich Unsichtbar-Affen, weil sie als Kinder von Erwachsenen oft übersehen wurden und weil sie sich außerdem immer wieder so affige Sätze anhören mussten wie: „Mach nicht so ein Affentheater!“ Affen mochten die Freunde allerdings sehr gerne, besonders Goffi, einen kleinen Geoffroy-Klammeraffen, den Addis Vater von einer Geschäftsreise nach Kirgisistan mitgebracht hatte und der von seinem Vorbesitzer zum Taschendieb ausgebildet worden war.
    Ağan setzte sich rechts neben Jenny und fasste nach ihrer Hand. „Du blutest ja! Was ist denn passiert?“
    Addi setzte sich auf die andere Seite und legte Jenny sanft einen Arm um die Schulter. „Was war denn das für ein Unfall? Bist du hingefallen?“ Er zog eine Grimasse. „So wie du gerade habe ich früher immer ausgesehen, wenn ich Wildschweinjagd gespielt habe.“
    Jenny sah auf und plötzlich musste sie lächeln. „Wildschweinjagd?“
    „Äh … ja.“ Addi war rot geworden. „Das war eine Zeit lang mein Lieblingsspiel.“ Rasch fügte er hinzu: „Natürlich war ich da noch sehr klein. Ich bin dann immer in den Grunewald gedüst, habe mir
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