Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Magdalenas Garten

Titel: Magdalenas Garten
Autoren: Stefanie Gerstenberger
Vom Netzwerk:
einer roten Zierborte geschmückten schmalen Steinsims, auf dem zwei hölzerne Heiligenfiguren standen. Sie hatten Tücher um sich gehüllt, die gerade im Begriff waren, ihnen von den typisch schief gelegten Köpfen zu rutschen, und harrten auf ihren Sockeln aus. Eine Maria Magdalena links und eine Santa Lucia rechts, so stand es auf den kleinen Plaketten. Gut, verstehe, Magdalena setzte sich auf die vorderste Bank, das hat Nina also gemeint. Aber sie verstand gar nichts. Der unaufhörliche Gedankenstrom in ihrem Kopf war zum Stillstand gekommen, ausgerechnet jetzt, wo sie ein, zwei klare Gedanken gut hätte gebrauchen können. Kein Mensch war hier oben mit ihr, sie war allein, nur der Wind rüttelte
an der Tür. Maria Magdalena links und Lucia rechts. Ihre Namen, und was bedeutete das jetzt?
    Na, was bedeutet das wohl?, hörte sie Ninas Stimme. Sie ist hier gewesen! Deine Heidi ist hier oben gewesen. Durch den Weihrauch und die abgestandene Luft wurde Magdalena ganz schwummerig im Kopf. Magdalena Lucia - das konnte kein Zufall sein, sie stand wieder auf und schaute sich die Gesichter der Statuen genauer an. Sie hatten sehr eigene, ganz unterschiedlich Züge. Heidi hatte vor ihnen gestanden und sich nicht entscheiden können: Nehme ich die hübsche, etwas abwesend wirkende Lucia oder die nachdenkliche, ernste Magdalena? Welche hättest du genommen?, hörte sie Heidi fragen. Magdalena zuckte mit den Schultern: »Ich hätte mich, glaube ich, auch für alle beide entschieden«, sagte sie leise.
    Â 
    Magdalena musste an Nina denken, die eben noch heulend und tretend unter dem Tisch in der Küche gelegen hatte. Sie hatte diesen Platz entdeckt und ihn ihr zum Geschenk machen wollen. Dann schob sich ein anderes Bild, von dem Matteo ihr erzählt hatte, vor ihre Augen. Nina, wie sie vor dem Zimmer ihrer toten Tochter auf dem Boden lag, die Fingernägel unter die geschlossene Tür geklemmt, bis sie blau waren. Magdalena konnte den Schmerz fühlen. Sie sah Nina vor ihrem Kleiderschrank, zwischen ihren bunten Schuhen, Nina, die ihr einen Berg Spaghetti auf den Teller häufte, die behutsam ihren Verband wechselte. Sie war so … so voller Liebe, immer noch, sie wusste es nur selbst nicht.
    Wie Nina wohl mit ihrem Kind gewesen war, mit ihrem Mann, vor dem Unfall? Als junge Mutter? Nina als Mutter. Auch mit einem toten Kind blieb man Mutter. Für immer. Eine Witwen-Mutter. Eine Waisen-Mutter. Es gab keine eigene Bezeichnung dafür. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man
eine für diesen Zustand erfinden. Magdalena beschloss, Nina einen Brief zu schreiben.
    Sie öffnete ihre Handtasche und suchte nach Zettel und Stift, dabei fiel ihr das Foto entgegen. Weich und abgegriffen, gefaltet und zerknickt, mit ausgefranstem Rand, nass geworden und wieder getrocknet, x-mal kopiert, verteilt, herumgereicht und wieder zurückgegeben, hatte es sie die ganze Zeit begleitet. Sie nahm es in die Hand und betrachtete es: Heidi und der junge Mann neben ihr, Paolo oder wie immer er auch heißen mochte, gehörten hierher. Sie waren hier gewesen, jetzt kehrten sie wieder zurück. Magdalena küsste das Bild und legte es zwischen die beiden Figuren. Aufatmend, als habe sie ein schwieriges Problem gelöst, ging sie hinaus und las sich lächelnd Meter für Meter durch Herzen, Daten, Inschriften.
    Â 
    Das Herz war eines der ältesten, aber auch eines der größten: 26. 07. 1979 - Heidi & Tiziano -

42
    S ie sah ihn dort sitzen, reglos, die Arme auf die Stuhllehnen gelegt, als wäre er nicht nur blind, sondern auch gelähmt. Das war er also. Der Mann, den sie seit zwei Jahren, zwei Monaten und einer Woche suchte. Tiziano.
    Wer hatte die beiden weißen Plastikstühle unter die Bäume getragen? Matteo wahrscheinlich. Der Brunnen war abgestellt, auch das Werk von Matteo.
    Tiziano also. Schämte er sich, dass er Heidi mit dickem Bauch hatte sitzen lassen? Natürlich schämte er sich! Er hatte allen Grund dazu! Ich werde ihn duzen, ich werde ihn keineswegs ehrfürchtig als Bürgermeister behandeln, auch nicht als armen Behinderten, als Blinden. Aber er ist blind! Das ist mir scheißegal!
    Da saß er nun, seine Haare schimmerten hell, dicht wie eine Mütze. Die Dauersonnenbrille, den komischen schwarzen Kasten wie immer auf der Nase. Magdalena atmete ein paarmal kurz ein und dann lange wieder aus, damals hatte das vor den Schwimmwettkämpfen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher