Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mafiatochter

Mafiatochter

Titel: Mafiatochter
Autoren: Karen Gravano
Vom Netzwerk:
ich zu mir selbst, »was soll ich nur mit meiner sieben Monate alten Tochter machen? Wie soll ich es schaffen, für dieses Kind zu sorgen? Was wird bloß aus Karina und Nicholas werden?«
    Die Generalbundesanwaltschaft zwang Mama, ihr Haus am Secretariat Drive zum Verkauf auszuschreiben. Den dadurch erzielten Erlös wollten sie ebenfalls einbehalten. Wir hatten nur ein paar Monate, um unsere Sachen zu packen und das Haus zu räumen, also herrschte ein riesiges Chaos. Gerard war gegen Kaution auf freiem Fuß und wartete auf sein Urteil, aber Papa saß bis zu seiner Verurteilung im Knast fest. Ich war sehr gestresst.
    Eines schrecklichen Tages im Juni war ich mit den beiden Kindern allein zu Hause. Hinter dem Haus war ein riesiger Swimmingpool. Das Anwesen war von einem ein Meter achtzig hohen Zaun umgeben, doch der Pool war nicht eingezäunt. Allerdings waren sämtliche Türgriffe im Haus ziemlich hoch angebracht. Mama hatte einen Pitbull namens Keisha, der eine Fliegengittertür selbst öffnen konnte, wenn er mal hinaus musste. Ich spielte gerade mit Nicholas, der damals noch nicht ganz zwei Jahre alt war. Dabei versteckte ich ein kleines Spielzeug, das er suchen und mir bringen musste.
    Das Telefon klingelte, ich hob ab und sprach nur ein paar Minuten lang. Ich nahm an, Nicholas würde das Spielzeug suchen. Doch er kam nicht damit zurück. Ich bemerkte, dass der Hund draußen war und sah, dass sich die Gittertür, die er aufgedrückt hatte, nicht von selbst wieder geschlossen hatte. Ich rannte nach draußen zum Pool. Nicholas lag am Grund des Beckens und bewegte sich nicht. Ich sprang hinein und zog seinen leblosen Körper heraus. Er war blau und atmete nicht. Ich wusste nicht, wie man eine Herz-Lungen-Reanimation durchführte. Ich wählte die Notrufnummer und war hysterisch, doch dem Telefonisten gelang es, mich soweit zu beruhigen, dass er vernünftig mit mir sprechen konnte: »Sie müssen mir zuhören, damit ich Ihnen helfen kann.«
    Ich war am Durchdrehen. Es war das schlimmste Ereignis meines ganzen Lebens. Als mich der Telefonist des Notdienstes wieder einigermaßen auf den Boden gebracht hatte, wurde das Ganze zu einer völlig mechanischen Angelegenheit. Ich führte die Wiederbelebungsversuche durch, wie man es mir erklärt hatte. Als der Notarztwagen eintraf, kam Mama gerade vom Einkaufen zurück und fuhr die Einfahrt hinauf.
    Es klingelte an der Tür, und ich öffnete hastig. Es war der Beamte, der immer zu Gerard nach Hause kam und darauf achtete, dass er seine Ausgangssperre einhielt. »Oh, mein Gott, bitte sagen Sie mir, dass nichts mit Nicholas ist«, rief er. Der Beamte verständigte Gerard im Restaurant und sagte ihm, er solle zum Haus seiner Mutter kommen. Es habe einen Unfall gegeben.
    Als mein Bruder eintraf, konnte ich ihm nicht einmal ins Gesicht sehen. »Ich habe beinahe dein Kind umgebracht«, weinte ich. »Es tut mir so leid, ich habe fast deinen Sohn getötet.«
    Nicholas wurde mit dem Krankenwagen ins Desert Samaritan Hospital gebracht. Mich brachte man mit einem Schocktrauma in dasselbe Krankenhaus. Mein Vater war im Gefängnis, als an jenem Abend in den Nachrichten kam, dass Nicholas beinahe ertrunken sei. Ein Vollzugsbeamter suchte Papa in seiner Zelle auf.
    »Sammy, ich glaube, du solltest mal zu Hause anrufen«, sagte er. »Bei deiner Familie ist gerade etwas passiert.«
    Papa rief zu Hause an, aber niemand nahm den Anruf entgegen. Schließlich fuhr jemand vom Restaurant zum Gefängnis, um eine Botschaft zu überbringen: »Sagen Sie Sammy, dass alle wohlauf sind.«
    Ich war entsetzt, als mein Gespräch mit dem Notruf-Vermittler an jenem Abend in den Nachrichten gesendet wurde. Bis heute kann ich den lähmenden Schreck spüren, der mich überkam, als ich bemerkte, dass ich Nicholas aus den Augen verloren hatte.
    In Arizona ist der Tod durch Ertrinken sehr häufig. Niemand wusste das besser als wir, denn schließlich besaßen wir eine Pool-Firma. Man denkt, man kann sich für zwei Sekunden abwenden. Ich dachte, Nicholas wäre im Haus. Der behandelnde Arzt im Krankenhaus schätzte, dass er nur zwei Minuten unter Wasser gewesen sei, als ich ihn fand. Der Hund musste durch die Fliegentür gerannt sein, und Nicholas hatte wahrscheinlich versucht, sein Spielzeug ins Schwimmbecken zu werfen. Er hatte eine Schramme am Kinn, die er sich vermutlich beim Sturz zugezogen hatte. Jeden Tag danke ich Gott dafür, dass er am Leben ist.

Am Tag der Klageerwiderung, dem 29. Juni 2001, gingen Mama und ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher