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Mafiatochter

Mafiatochter

Titel: Mafiatochter
Autoren: Karen Gravano
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gemeinsam zum Maricopa County Superior Court. Wir wussten nicht, wann Gerard und Papa eintreffen würden. Sie kamen jedenfalls direkt aus dem Gefängnis, weil es meinem Vater nicht gelungen war, gegen Kaution freizukommen. Es war uns nicht gestattet, uns vor Prozessbeginn mit ihnen zu treffen.
    An jenem Tag vor Gericht bekam ich zum ersten Mal die Klageerwiderung zu sehen. Es war ein umfassendes Schuldeingeständnis, in welchem wir alle aussagen mussten, Mitglied einer kriminellen Organisation unter Federführung meines Vaters gewesen zu sein. Dann sollten wir uns sämtlicher Anklagepunkte, die man gegen uns vorbrachte, für schuldig erklären, sonst wäre der Deal geplatzt, und sie würden alles Gerard allein anlasten.
    Ich bekannte mich des »illegalen Gebrauchs einer elektronischen Kommunikationseinrichtung« für schuldig. Ich wusste nicht einmal, was das bedeutete. Mein Anwalt erklärte, es bedeute, dass ich ein Telefon benutzt hätte, um über ein Drogengeschäft zu sprechen. »Ich unterzeichne diese Klageerwiderung nicht«, sagte ich zu ihm. Ich wollte keinen Anteil daran haben, dass mein Vater und mein Bruder in den Knast wanderten. »Was habe ich zu erwarten, wenn ich selbst vor Gericht gestellt werde?«
    »Ziemlich sicher eine Bewährungsstrafe«, sagte mir der Anwalt.
    »Ich bekomme sowieso eine Bewährungsstrafe«, sagte ich. »Dann will ich auch eine eigene Verhandlung.«
    »Karen, wir haben das mit deinem Vater besprochen. Du musst das unterschreiben.«
    Mir war übel wie vor einer Klassenarbeit. Ich wollte das Schriftstück nicht unterzeichnen. »Wo ist mein Vater?«, fragte ich. Man teilte mir mit, Papa und Gerard seien noch hinten in zwei verschiedenen Hafträumen.
    »Kann ich sie sehen?«, fragte ich. Die Antwort lautete nein.
    Der Gerichtssaal war gestopft voll. Ich wusste, dass sich die Verhandlung in erster Linie auf die vorgerichtlichen Vernehmungen stützen würde. Alle, insbesondere die Medien, wollten Sammy the Bull sehen. Meine Mutter, die neben mir saß, war ebenfalls mit den Nerven fertig. Der Richter Steven Sheldon hatte seinen Platz noch nicht eingenommen, aber ich musste ohnehin erst die Klageerwiderung unterschreiben, bevor der Prozess beginnen konnte.
    Ich hatte ein sehr wechselhaftes Gefühl. Ich wollte das nicht tun. Ich wusste, dass mein Vater bis zu zwanzig Jahre bekommen könnte. Ich wollte einfach nur aufstehen und sagen: »Die lügen doch alle wie gedruckt. So war das alles nicht. Geben Sie mir fünf Jahre und reduzieren Sie dafür seine Haftstrafe.«
    Ich wusste, dass mein Vater nicht der Chef der Organisation gewesen war und nicht getan hatte, was man ihm vorwarf. Er hatte lediglich Geld geliehen, um Gerard aus der Sache herauszuhelfen. Er wollte nicht, dass wir seinen Lebensstil übernahmen.
    Ich hatte ihn belogen. Ich hatte ihm nicht gesagt, dass Mike Papa schon ein Drogendealer war, als ich ihn kennen lernte. Ich hatte Angst bekommen, als Gerard gesagt hatte, er wolle zurück nach New York gehen. Ich sorgte mich stets um ihn – vielleicht würde er dort ausgeraubt, oder etwas Anderes könnte ihm zustoßen.
    Ich war diejenige gewesen, die meinem Vater alles erzählt und ihn dadurch mit hineingezogen hatte. Die Tatsache, dass sich Gerard bereits einer ernsthaften Bedrohung gegenübersah, brachte uns ohnehin schon dazu, Dinge zu tun, die wir ansonsten nicht getan hätten. Zu jener Zeit versuchte Papa, die Beziehung zu seinen Kindern behutsam wieder aufzubauen. Uns zu warnen oder gar ein Verbot auszusprechen, hätte nicht funktioniert.
    Zwei Monate später trat die gesamte Polizei von Phoenix unsere Türen ein und lastete alles meinem Vater an. Als die Medien die Sache aufgriffen, erklärten uns sämtliche Schlagzeilen für schuldig.
    Ich fühlte mich mies. Was zum Teufel tat ich da? Erst wandte ich mich gegen diesen Mann, forderte ihn heraus, verbarg die Wahrheit vor ihm – was ich alles nie getan hätte, aber ich hatte jeglichen Respekt vor ihm verloren. Nun wollte er zwanzig Jahre Gefängnis auf sich nehmen, um seinen Sohn zu schützen, und mir würde gar nichts geschehen. Die Plädoyers, die wir unterzeichneten, waren sehr strategisch formuliert.
    Papas letztes Schuldeingeständnis war quasi ein Freundschaftsdeal gewesen. Er hatte neunzehn Menschen umgebracht und dafür nur fünf Jahre gesessen. Nun kam es mir vor, als wollten die Behörden dieses Geschäft wieder ausbügeln.
    Gerard und ich hatten den Behörden ermöglicht, auf andere Weise an Papa heranzukommen, und
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