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Mafiatochter

Mafiatochter

Titel: Mafiatochter
Autoren: Karen Gravano
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mit ihnen zum Wagen eilte. Die Besuchszeiten begannen pünktlich um acht Uhr morgens, und ich wusste, dass mein Vater uns erwartete. Ich war aufgeregt, ihn zu sehen, machte mir aber auch Sorgen wegen der Kinder. Sie fanden nichts dabei, ihren Großvater in einer Strafanstalt zu besuchen. Sie waren zuvor schon in Gefängnissen gewesen. Mein Bruder Gerard und der Vater meiner Tochter verbüßten beide Haftstrafen, also waren sie es gewohnt, Leute im Gefängnis zu besuchen und einen Tag dort zu verbringen. Dieser Besuch war jedoch etwas Anderes.
    Die Anstalt, in der mein Vater einsaß, war ein Hochsicherheitsgefängnis, in dem es strenge Regeln über den Kontakt zur Außenwelt gab. Diese Regeln besagten, dass Nicholas, Karina, meine Mutter und ich nach dem Betreten der Anstalt volle acht Stunden dort bleiben mussten. Ein Aufseher würde sieben Meter von unserem Tisch entfernt sitzen und unsere Gespräche überwachen. Für die Kinder gab es nicht viel zu tun. In den anderen Gefängnissen, das wussten sie, gab es einen Fernseher, Kartenspiele und viele gleichaltrige Spielkameraden.
    Die Besuchsbereiche waren üblicherweise recht groß, sodass bis zu vierzig Insassen gleichzeitig Besuch empfangen konnten. Uns teilte man mit, dass an jenem Wochenende nur ein einziger weiterer Insasse Besuch bekomme.
    Im Auto herrschte eine fröhliche Stimmung. Meine Mutter saß auf dem Beifahrersitz, die Kinder spielten auf der Rückbank Karten. Es war ein warmer Sommertag, und einen Großteil der Fahrt über sah ich aus dem Seitenfenster und genoss die Landschaft. Etwas, das ich vermisste, seit ich in Süd-Arizona lebte, waren das Grün und die Blätter. Während meiner Kindheit in New York hatte ich zwischen den Bäumen in unserem Hinterhof auf Staten Island immer Verstecken gespielt. Es waren nun beinahe zehn Jahre vergangen, seit ich die Ostküste verlassen hatte, aber ich hatte immer noch Heimweh.
    Wir waren etwa eine Stunde lang gefahren, als die Pinyon-Kiefern nach und nach vom Straßenrand verschwanden und die Straße schmaler wurde. Aus vier Spuren wurden zwei, und aus dem Asphalt ein trockener, steiniger Lehmboden. Der holprige Fahrbahnbelag war Gift für meinen ohnehin schon nervösen Magen. Ich spürte, dass sich auch die Laune meiner Tochter veränderte. Als sich unser Wagen dem ersten Sicherheitszaun um die Anstalt näherte, wurde sie plötzlich ganz still und wirkte zunehmend angespannt.
    »Mama, ist das ein schlimmer Ort für ganz schlimme Leute?«, fragte sie und blickte nervös zu den Zement-Wachtürmen hinaus, die mit schwer bewaffneten Wärtern besetzt waren. »Schlimmer als der Ort, wo mein Papa und Onkel Gerard sind? Da oben ist nämlich ein Mann mit einem Gewehr.«
    »Warum ist Papa Bull in einem größeren Gefängnis als mein Vater?«, wollte Nicholas wissen. »Warum ist es komplizierter, ihn zu besuchen?«
    »Euer Großvater gilt als einflussreicher und gefährlicher Krimineller, weil er ein berühmter Gangster war«, erklärte ich ihnen.
    Die Kinder verstummten. Mama sagte kein Wort.
    Der uniformierte Wachmann in dem Häuschen zeigte mir einen Parkplatz und wies mich an, im Auto zu warten, bis uns jemand abholte. Von diesem Moment an wuchs meine Spannung. Ich hatte meinen Vater lange nicht gesehen. Ich hatte so schöne Erinnerungen an ihn aus meiner Kindheit. Er war ein wichtiger Mensch in meinem Leben gewesen, der mich geformt und geprägt hatte. Über die Jahre hatten wir unsere Auseinandersetzungen gehabt, doch mit siebenunddreißig war ich an einen Punkt gelangt, wo ich über den vergangenen Zorn hinwegsehen und ihn als Mensch, der er war, akzeptieren und lieben konnte. Ich wollte, dass die Kinder ihn kennen lernten und mein Vater sah, wie groß sie geworden waren.
    Wir warteten nur wenige Minuten, dann kam ein Gefängniswärter zum Wagen und nahm uns mit hinein. Wir füllten ein paar Formulare aus, mussten durch einen Metalldetektor gehen und wurden nach Schmuggelware durchsucht.
    »Ihr Vater erwartet den Besuch mit großer Spannung«, sagte mir einer der Wärter. »Wissen Sie, Ihr Vater ist ein guter Kerl.«
    »Er ist verrückt«, sagte ich lächelnd.
    »Oh ja, er ist verrückt, aber ein guter Kerl.«
    Ich sah mich nach den Kindern um und bemerkte, dass sie ein wenig fröhlicher wirkten, weil der Wärter solche Dinge über ihren Großvater sagte. Draußen schien die Sonne grell, und ich kniff die Augen zusammen. Hastig geleitete ich sie aus dem Besucherzentrum hinaus und durch ein zweites Tor, das weiter ins
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