Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Maengelexemplar

Titel: Maengelexemplar
Autoren: Sarah Kuttner
Vom Netzwerk:
lernen mich noch besser kennen, ich erzähle detaillierter von früher und sehe dank Anette ein paar wiederkehrende Muster, rote Linien, die sich durch mein Verhalten ziehen. Sie glaubt, dass ich Angst vor dem Alleinsein habe und ein fehlendes Selbstwertgefühl. Als ich ihr davon erzähle, dass ich mich wegen meines Selbstmitleids schäme, wird sie energisch: »Und was bitte ist daran so schlimm, Karo? Traurig über sich selbst zu sein, über die eigene Situation, die eigene Vergangenheit?« Ich wurde überführt, will mich aber dennoch wenigstens erklären: »Ich weiß nicht. Es fühlt sich falsch an. Selbstmitleid haben doch nur selbstbezogene, doofe Menschen.« Anette sieht mich mit einem besonderen Blick an. Er sagt: »Karo, das ist Quatsch, und du weißt es.« Sie findet, dass ich das Recht auf Trauer habe und dass ich mich zu oft rechtfertige und meine Gefühle unter Wert verkaufe.
    Wenn ich aus den Stunden herauskomme, schwirrt mir der Kopf immer sehr. So viele Ansätze, so viele Muster, so viele Möglichkeiten. Und alle ergeben Sinn, aber die wenigsten kann ich spüren, emotional verstehen oder nachvollziehen. Dabei will ich doch so gern einfach nur vorankommen.
    Trotzdem bin ich ganz verliebt in mein
In-Therapie-Sein
. Ich glaube fest an das Prinzip: Leiden für den Erfolg, bin zuversichtlich und rede viel mit Freunden, von denen sich sogar ein bis zwei als alte Hasen auf diesem Gebiet entpuppen. Wir veranstalten stundenlange Hobbypsychologentreffs.
    Zu guter Letzt denke ich irre viel über mich nach, um einen schnellstmöglichen psychotherapeutischen Erfolg herbeizuführen.
    Ich mache im Grunde genommen alles falsch.

Philipp und ich haben uns vor zwei Jahren auf einem Medientreff kennengelernt, den meine Agentur organisiert hat. Auf einem Medientreff passiert genau das, was das Wort verspricht: Medien treffen sich. Arbeitslose Schauspielerinnen und unbekannte Jungmoderatoren (die richtigen A-Promis wissen längst, dass ein Medientreff nur ein träges Schaulaufen armseliger Würste ist, die zu den richtig großen Events nicht eingeladen werden, und kommen daher nur, wenn sie etwas wirklich dringend zu promoten haben) treffen auf schamlose Klatschreporter, die auch wissen, dass niemand Interessantes da ist, und sich einfach nur über das Buffet und die kostenlosen, gesponsorten Getränke freuen. Genau der Grund, warum ich immer so gern bei diesen Veranstaltungen bin. Man kann immer das neuste Fun-Getränk ausprobieren.
     
    Philipp und ich trafen uns sehr klassisch, nämlich an der Bar. Ich bestellte das dritte kostenlose In-Getränk und stand kurz vor einer Eruption, weil die Bar-Praktikantin Schnelligkeit für weniger nötig hielt als ich. Philipp stand neben mir, machte irgendeinen höflichen Witz und nahm mir damit den Wind aus den Segeln. Wir kamen ins Gespräch, standen ein wenig zusammen rum und nippten an unseren Gläsern. Da ich kein besonders guter Smalltalker bin, verabschiedete ich mich, bevor es klemmig werden konnte, mit den äußerst originellen Worten: »Ich geh mir mal jemanden zum Ficken suchen. Es wäre nett, wenn du auch die Augen nach interessanten Typen aufhältst und mir später Bescheid gibst!«
    Philipp antwortete weniger beeindruckt, als ich erwartet hatte: »Na klar. Ich mach ’ne Liste, und wir treffen uns in genau einer Stunde wieder hier an der Bar!«
    Das gefiel mir gut, und so flanierte ich eine Stunde später wieder zur Bar. Ich konnte Philipp nicht sehen und bestellte deshalb, vermutlich eine Übersprungshandlung, ein weiteres klebriges Mist-Getränk. Nach dem vierten Glas ist Döner-Red-Bull nur noch halb so viel Fun.
    »Na?« Da war er wieder.
    »Selber: Na! Jemanden für mich gefunden?«
    »Leider nur einen!«
    »Und? Wen?«
    Sehr souverän zeigte er auf sich selbst.
    Oh. Dachte ich. Und sagte: »Oh.«
    Da hatte mich wohl der Gag beim Um-den-Baum-Rennen von hinten eingeholt. Ich freute mich über diese neue Option. Es ist nicht so, dass ich aktiv auf der Suche war, aber in Beziehungen zu sein, fand ich schon immer toller, als es nicht zu sein, und ich war es grade nicht, also passte da wohl der Arsch der Gelegenheit auf meinen Eimer.
    Und so redeten wir, so sicherheitsfetischistisch wie aufgeregt, um den noch sehr heißen Brei herum und tauschten ein paar grundlegende Informationen über einander aus: Philipp war sechsundzwanzig, zwei Jahre älter als ich, und studierte Mediengestaltung. Er kommt ursprünglich vom Dorf und wohnt in einer Zwei-Zimmer-Butze in der Nähe.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher