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Maengelexemplar

Titel: Maengelexemplar
Autoren: Sarah Kuttner
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raus.
    Frau Görlich lächelt, sagt aber immer noch nichts.
    Der ungeduldige Kontrollfreak in mir sieht pflichtbewusst auf die Uhr, trocknet sich kurz ab und versucht, das Gespräch mit einem an die alte Eloquenz erinnernden »Und nun?« neu zu beleben.
    »Atmen Sie noch einmal richtig durch!«
    Also gut. Um Zeit zu sparen, tue ich von Anfang an so, als würde ich direkt in den Bauch atmen. Aber jetzt will ich Klartext. Was ist mit mir? Warum ist das passiert? Was geschieht nun? Habe ich bestanden? Kann man mir helfen?
    Frau Görlich lächelt wissend. Ich hoffe blauäugig, dass sie mich zauberhaft findet, aber eigentlich weiß ich, dass sie meine Ungeduld belächelt. Schon wieder zu schnell gewesen.
    Sie sagt sehr ruhig: »Beobachten Sie doch erst mal ein paar Tage, wie es Ihnen nach dieser einen Stunde geht. Und dann überlegen Sie, ob Sie sich vorstellen könnten, regelmäßig herzukommen. Ob Sie das Gefühl haben, dass ich die Richtige für Sie bin. So etwas ist sehr wichtig.«
    Ich möchte am liebsten rufen:
Ja, ich will! Na klar, und ob ich will! Was fragen Sie denn noch! Wann soll ich kommen, und wann, denken Sie, werden wir mich geheilt haben?
    Meine jahrelange Erfahrung als Fernsehzuschauer verbietet mir allerdings diese Reaktion. Ich bin im Recall, das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir ein Album zusammen aufnehmen werden. Lässigkeit ist die neue Ehrlichkeit, also sage ich »o.k.« und vermerke mir einen nächsten Termin, eine Woche später.
    Ich lerne aus meinen Fehlern und steige die Wendeltreppe bedacht und in gemäßigtem Tempo hinunter.
    Obwohl ich leer geweint, verwirrt und erschöpft bin, fühle ich mich auf der Straße ein klitzekleines bisschen wie in einem französischen Film unter der Regie eines nur mittelguten Hollywood-Regisseurs. Dramatisch, aber nicht düster. Ich gehe jetzt also zur Therapie. Soso. Hat ja gar nicht wehgetan.

In der folgenden Woche legt sich ganz langsam eine dumpfe Traurigkeit über mich, wie eine dieser muffligen, braunen Wolldecken mit Pferdekopf-Motiven. Ich fühle mich permanent irgendwie entzündet.
    Während eines durchaus entspannten Einkaufsbummels mit meinem Freund wird mein Herz schwer, die Äuglein werden feucht, und ich beschließe, vorsichtshalber irgendwo einzukehren, um Kaffee zu trinken. Philipp und ich sitzen uns gewohnt schweigend gegenüber. Philipp raucht, ich rauche, wenigstens das vereint uns. Ich starte einen trägen Versuch, ihn an meinem Leben teilhaben zu lassen, und erzähle ihm von der Therapiestunde und meiner neuen Schwermut. Sein Interesse wirkt laienhaft geschauspielert, sein Blick kippelt hektisch zwischen meiner Stirn und irgendetwas hinter mir hin und her, er trommelt mit den Fingern auf der schmierigen Glasplatte unseres Tisches und erbricht, wie gewohnt, nur schlecht durchdachte Floskeln: »Naja, läuft ja nun mal grad nicht alles rund bei dir, lass doch erst mal sacken, morgen ist ja auch noch ein Tag.« Top Idee, du Flachpfeife. »Morgen ist ja auch noch ein Tag?«, keife ich. »Noch ein Tag, an dem ich den Grund für diesen schleichenden Schmerz einfach nicht finden kann!«
    Es ist zum Mäuse-Melken mit Philipp. Ich glaube, wir haben uns irgendwie in einer Art Spiegelkabinett verirrt: Wir sind miteinander gar nicht mehr wir selbst, sondern immer nur eine schlechte Kopie von dem, was der jeweils andere gern sehen möchte. In panischen Versuchen, es mir recht zu machen, denkt Philipp überhaupt nicht mehr nach und quatscht nur noch Seifenopern-Mist. Ich wiederum bin zu trotzig, um noch gefallen zu wollen, und teste ihn ständig, in der Hoffnung, dass er doch noch irgendetwas Überraschendes an sich hätte, das ich lieben könnte, nur um herauszufinden, dass da einfach nichts ist.
    Eigentlich Grund genug, um traurig zu sein. Und doch ist es das nicht. Ich versuche immer weiter, dieses stumpfe, stinkende Gefühl einzuordnen, mit meinem aktuellen Leben abzugleichen. Aber egal, an welches Puzzlestück meines Lebens ich es halte, ich finde einfach nicht das passende Gegenstück.
    Ich mache mir Sorgen und bin frustriert, immer wieder schwirrt mir Frau Görlichs Satz »Sie wurden einfach zu oft alleingelassen« durch den schweren Kopf.
     
    Und plötzlich komme ich dahinter: Ich tue mir leid! Ich bin traurig über mich. Ich bemitleide die kleine Karo, die von Mama mit einem Hausschuh den Arsch versohlt kriegt, weil sie ihr Bett nicht gemacht hat. Ich bemitleide die kleine Karo, die von Papa viel lieber Umarmungen als Literaturtipps
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