Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Maengelexemplar

Titel: Maengelexemplar
Autoren: Sarah Kuttner
Vom Netzwerk:
Philipp liebt den künstlerischen Aspekt an seiner Ausbildung und malt in seiner Freizeit. Ich habe keinerlei Ahnung von Mediengestaltung im Allgemeinen und Kunst im Speziellen, aber was ich nicht kenne, finde ich über die Maßen reizvoll. Nach zwei weiteren Wodka-Bolognese tranken Philipp und ich Wodka pur und besprachen den weiteren sexuellen Verlauf des Abends. Keiner von uns beiden war sicher, wie ernst es der andere meinte, aber keiner warf das Handtuch, also landeten wir in einem Taxi und schließlich in seiner Wohnung.
    Es folgten alkoholschwangerer, halbgarer Sex und ein sehr angenehmes Miteinander-Einschlafen. Von der ersten Nacht an funktionierte das am besten zwischen uns: miteinander einschlafen. Unsere Körper waren wie für die Löffelstellung getischlert, unsere Ärsche passten perfekt in den Bauch des anderen.
     
    Es kam wenig überraschend: Ich verliebte mich in den Gedanken, verliebt zu sein, Philipp zierte sich ein paar Wochen lang, um sich dann schließlich auch in das Verliebtsein zu verlieben.
    Wir wurden ein Paar und stritten schon nach sehr wenigen Wochen regelmäßig und heftig. Sehr schnell störten mich tausend Kleinig- und Großigkeiten: das Rotze-Hochzieh-Geräusch, das Philipp im Bad machte, und seine ausgeprägte Eitelkeit. Wenn ich sprach, hörte Philipp nie richtig zu. Er zappelte immer nervös herum und blickte gehetzt in alle möglichen Ecken des Raumes, nur nie in mein Gesicht. Ich hatte immer das Gefühl, beim Reden gejagt zu werden. Auf der anderen Seite forderte er aber völlige Aufmerksamkeit, wenn er von sich sprach. Und er sprach viel. Dauernd gab es etwas zu meckern und zu hassen. Mit Philipp konnte man nie lästern, denn zum Lästern gehören Spaß und ein schamvolles Grinsen. Aber Philipp schämte sich nicht, und er hatte keinen Spaß. Philipp hasste. Wir sprachen wenig über mich. Das liegt auch daran, dass ich ungern ungefragt über mich spreche. Ich mag es gern, wenn man mich fragt, wenn jemand wirklich interessiert ist, und selbst dann rede ich recht schnell und komme möglichst zügig auf den Punkt, um mein Gegenüber nicht zu langweilen. Und Philipp fragte eben einfach nicht. Am liebsten sprach er über sich. Einmal habe ich während eines Telefonats mit Philipp masturbiert. Ich fand das sehr aufregend, weil er nicht wusste, was ich tat, während er sprach, und sehr romantisch, weil ich ja schließlich dabei seiner Stimme lauschte. Nachdem ich lautlos gekommen war, sagte ich es ihm. Philipp war sauer. Philipp war ernsthaft eingeschnappt, weil ich ihm »dann ja wohl überhaupt nicht zugehört« hätte.
     
    Natürlich haben wir auch gute Zeiten, oder spielen uns gute Zeiten vor, aber eigentlich stolpern wir seit zwei Jahren nebeneinanderher. Jeder von uns beiden hofft, dass es mit der Zeit einfach besser werden muss, und jeder findet, dass man zwei Jahre doch nicht »einfach so wegschmeißen« sollte.
    Alles, was ich will, sind liebevolle Gefühle, Geborgenheit, klassisches Für-einander-da-Sein, eine Homebase, ein Nest. Und im Grunde will Philipp wohl genau dasselbe. Die leidenschaftliche Begierde danach vereint uns. Nur passt sonst, außer unseren Körpern beim löffelnden Einschlafen, irgendwie nichts wirklich gut ineinander.

Anette richtet nie über mich und Philipp. Ich wünsche mir natürlich sehr, dass sie es täte. Also dass sie über Philipp richten würde. Ein mitfühlendes »Karo, ich verstehe nicht, wie du das aushältst. Eine so tolle junge Frau wie du hat etwas Besseres verdient. Jemanden, der dich auf Händen trägt. Aber der Typ ist ja wohl völlig selbstsüchtig!«, fände ich durchaus angebracht.
    Aber so ist sie nicht. Wenn ich regelmäßig rumjammere, sagt sie eher: »Ihr reibt euch aneinander wund.« Oder: »Philipp ist halt völlig verunsichert.« Oder: »Ich glaube, Karo, du möchtest, dass alle Menschen so sind wie du.«
    Spätestens da muss ich eingreifen: »Anette, ich bin hier, weil ich mich doof und unzumutbar finde, ich will auf keinen Fall, dass mein Umfeld genauso ist wie ich!« Aber sie meint meine extrem hohen moralischen Erwartungen an andere. Da könnte sie recht haben, denn hier bin ich der Fanclubleiter des kategorischen Imperativs.
    Aber die Menschen sind nun mal nicht alle gleich. Was mir richtig erscheint, ist in fremden Augen völlig doof und falsch. Lehrt mich Anette. Ich soll lernen, zu akzeptieren, dass andere Menschen anders sind. Puh. Kann ich nicht, will ich nicht. Ich kann akzeptieren, dass andere Menschen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher