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Maengelexemplar

Titel: Maengelexemplar
Autoren: Sarah Kuttner
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einfach eine kleine anspruchslose Insel inmitten fremder Leute Urlaub. Das laute Leben, das uns umgibt, wiegt uns in Sicherheit und gaukelt uns vor, irrsinnig viel zu erleben, obwohl wir nur zusehen. Method-Urlaub. Wir versetzen uns in die anderen und sind abends ganz erschöpft davon. Wir machen sehr viele Fotos, aber eigentlich nur von uns. Wie wir aussehen, wenn wir knutschen und essen und schlafen. Jeden Abend trinken wir Sangria. Wir trinken aus Flaschen und Gläsern und Zahnputzbechern und dabei spielen wir Karten auf dem Balkon.
    Wir urlauben wie Fünfzigjährige. Es ist genau meine Tasse Ferien.
    Mein Körper entspannt sich ein wenig. Manchmal allerdings versucht die Angst, sich in unseren Urlaub zu mogeln. Dann fängt es an, in mir zu beben. Aber bevor es schlimm werden kann, nehme ich Anettes Wundertropfen, und Max und ich latschen uns die nackten Füße am Strand so lange rau, bis es wieder geht.
     
    Und ganz manchmal verliere ich die Verbindung zu Max. Irgendeine Kleinigkeit, die er sagt oder macht, löst eine emotionale Unterbrechung aus. Als ob meine Gefühle für Max einen Wackelkontakt hätten. Eben noch alles super, und plötzlich spüre ich nichts mehr. Und irgendwann ist es wieder da. Aber bis
irgendwann
vergehen eben Minuten und manchmal Stunden, in denen ich ausreichend Zeit habe, den Teufel in den allerschönsten Farben an die Wand zu malen. Es verwirrt mich in höchstem Maße, wenn ich nicht jede Minute glücklich bin.
    Ich bin nicht dumm, ich weiß selbst, dass das nicht viel zu bedeuten hat. In den phantastischsten Beziehungen gibt es Momente, in denen man sich gegenseitig hässliche Krankheiten an den Hals wünscht. Aber tritt diese Phase nicht erst später ein? Ich merke, dass ich keine Ahnung mehr von der Liebe habe. Von normalen Beziehungen. Die kleinsten Unebenheiten machen mich unsicher. Und immer, wenn ich überlege, ob Max’ komische Badehose tatsächlich ein Trennungsgrund sein könnte, geht es wieder bergauf. Das ganze Hin und Her macht mich schwindlig und feige.
    Ich unterschreibe nach wie vor keinen Exklusivvertrag mit Max. In meinem Leben ist er weiterhin offiziell ein Freiberufler. Liebster Stammkunde. Es ist nicht so, dass ich mich anderweitig umsehe, mir gar andere Lebensläufe zuschicken lasse. Nein. Max ist der Einzige in der Agentur meines Herzens. Aber Festanstellung traue ich mich nicht.

Unsere Heimat öffnet ihre trotz Sommer nassen Arme und empfängt uns, braungebrannt von hemmungslosem Sonnenmissbrauch und mit weichen Bäuchen vom vielen Urlaubsessen. Ich mag es, dass es zu Hause regnet. Alle meckern und murren, im Radio reden doofe Leute auf doofen Sendern dauernd vom »kältesten Sommer seit ...«, und sie spielen wetterkritische Musik. Allein während der Taxifahrt vom Flughafen hören wir zweimal »Wann wird’s mal wieder richtig Sommer«. Aber ich freue mich. Ich glühe nach. Ich hatte eine wunderbare Zeit, aber jetzt kann ich es kaum erwarten, in meinem Federbett zu schlafen und wieder feste Kleidung zu mir zu nehmen. Ich brauche meine Abwechslung.
    Max und ich schlafen jeweils in unseren eigenen Wohnungen, denn Max muss früh aufstehen und arbeiten, und ich möchte gern mit mir sein. Ich habe Angst, die Unabhängigkeit, die ich mir in den letzten Monaten so tapfer aufgebaut habe, zu verlieren. Ich glaube, gewappnet sein zu müssen, für den Fall, dass wir unser
Wir
wieder aufkündigen. Ich darf den dünnen Draht zu mir nicht verlieren. Jede Woche mindestens drei Nächte allein schlafen, lautet meine goldene Regel. Max hält sie für Quatsch, aber er lässt es mich nie wissen. Ich weiß es trotzdem.
    Am nächsten Tag kümmere ich mich um Liegengebliebenes. Essen von vor einer Woche zum Beispiel. Oder volle Aschenbecher. Meine Wohnung soll nicht den Eindruck haben, die zweite Geige zu spielen. Ich räume auf und putze und mache auch nicht vor den Fenstern halt.
    Ich checke meine Mails. Nicht, weil ich etwas erwarte, sondern weil man das so macht. Und
pling
, ich erhalte Post aus der Agentur. Mein Manchmal-Chef Stefan fragt, ob ich einen Medientreff organisieren will, und mein Fast-Freund Max schreibt, dass ich und mein weiß gebliebener Hintern ihm fehlen. Stefan sage ich zu, unter der Bedingung, auch hin und wieder Sachen machen zu dürfen, die ohne Thomas Gottschalk auskommen, und Max lasse ich wissen, dass mein weißer Hintern sich über ein gemeinsames
Abendbrot plus
in den nächsten Tagen sehr freuen würde. Noch aber will ich ein bisschen allein sein.
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