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Maengelexemplar

Titel: Maengelexemplar
Autoren: Sarah Kuttner
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Ich meine, ein gemeinsamer Urlaub ist doch schon ein nächster kleiner großer Schritt in der Beziehung zwischen dir und Max, oder nicht?« Ich murmle irgendetwas Unverständliches, weil ich noch nicht bereit bin, von meiner favorisierten Theorie der späten Entzugserscheinungen abzuweichen. Erst recht nicht für etwas, das sich wieder als komplizierter Kopfmist herausstellen wird. Anette lächelt und fährt fort. »Es ging los, als du gepackt hast, sagst du. Einen Tag, bevor ihr losfliegen wolltet. Du erzählst mir außerdem seit Wochen, dass du der Beziehung nicht traust. Dir nicht traust.« Wie ein trotziges Kind kauere ich mit vorgezogener Unterlippe auf dem Drehstuhl und schmolle. »Ich glaube, dass du einfach Angst hast, dass dir diese schönen Gefühle wieder abhandenkommen, weggenommen werden. Ein gemeinsamer Urlaub schweißt euch noch enger zusammen. Sodass es am Ende mehr zu verlieren gibt. Aber weißte, Karo, so ist das im Leben. Und du hast mir mal gesagt, dass du bereit bist, hoch zu pokern. Dass du es in Ordnung findest, tief zu fallen, wenn man zuvor aber auch hoch gestiegen ist.«
    Ich denke darüber nach. Es klingt sinnvoll, aber irgendwas in mir weigert sich, das auch zu fühlen. Dieses Einrasten, wenn etwas richtig passt, geschieht einfach nicht. Aber da ja schon seit einem Jahr nichts einrastet, auch wenn Erklärungen logisch scheinen, warte ich nicht länger, sondern komme zu dem, was mich immer interessiert: »Und wie kriege ich das wieder weg?«, frage ich wütend. Anette lächelt das »Mensch, Karo!!«
-
Lächeln. »Du musst lernen, diese Ängste zuzulassen. Zu verstehen, dass dein Körper dir damit etwas sagen möchte.«
    Ich höre das zum hundertsten Mal und werde widerspenstig: »Aber ich will das nicht zulassen. Angst ist schlimm und nicht zu ertragen. Wie soll ich denn vernünftig weiterleben, wenn ich weiß, dass jeden Moment die große Scheiße um die Ecke kommen kann?«, frage ich vorwurfsvoll und den Tränen nahe. »Ich dachte, alles hat sich geändert, ich dachte, es geht wieder bergauf und ich bin gesund!«
    »Aber es hat sich alles geändert, Karo! Dein Leben ist so viel besser und schöner und vor allem ausgeglichener als noch vor einem Jahr! Aber du musst deiner Seele zugestehen, noch nicht vollständig erneuert zu sein. Du hast dicke, fette Ängste aus siebenundzwanzig Jahren in dir drin. Die bügelt man nicht in einem Jahr vollkommen weg!«
    »Soll ich jetzt nach Mallorca fliegen oder nicht?«, frage ich kleinlaut.
    »Das kann ich nicht entscheiden. Aber falls du es durchziehst, kann ich dir homöopathische Beruhigungstropfen mitgeben. Ich habe sehr viele Patienten, bei denen die ganz gut wirken. Die nimmst du einfach schon dann, wenn du merkst, dass du unruhig wirst. Ansonsten machst du im Notfall eigentlich bereits immer genau das Richtige! Du versuchst, dich zu beruhigen, den Ursprung der Angst zu analysieren und dich abzulenken.«
    Ich lasse mir die Tropfen vorsichtshalber geben. Sie heißen »Rescue-Tropfen«, und das klingt schön und sicher. Zur Verabschiedung werde ich umarmt, und dann purzele ich hinaus in die lauwarme Großstadt. Jetzt muss ich mich entscheiden.
    Vor der Praxis sitzt Max und liest. Als er mich sieht, lächelt er mich vollkommen erwartungslos an. Egal, was ich jetzt sagen werde, es geht schon in Ordnung.
    »Na, dann lass uns mal zum Flughafen fahren!«, sage ich.
    »Biste sicher?«, fragt Max besorgt.
    »Nö!«, sage ich. »Aber jetzt will ich!«
    Das nenne ich Last-Minute-Urlaub!

Mallorca ist so, wie man es erwartet. So, wie es alle hassen und ich es liebe: überall Menschen und Kinder und Aufblasbares und Trinkbares aus Eimern. Es gibt überfülltes und fettiges Buffet, dünnen Kaffee, anstrengende Animation und Discos voller enthemmter Sekretärinnen. Ich liebe das! Ein ruhiges Haus in der Toskana zum Beispiel wäre für mich unerträglich. Ich brauche Leben um mich herum. Ich will mit all diesen Menschen nichts zu tun haben, aber ich will sie sehen können. Ich muss wissen, dass ich nicht alleine bin.
     
    Die ganzen fünf feinen Tage lang machen wir nichts. Wir möchten nichts von der Insel sehen, wir wollen nur rumliegen und lesen und küssen und baden und essen. Kein Freizeitstress. Max hat, genau wie ich, keinerlei Interesse am Landesinneren, kulturellen Attraktionen oder sportlichen Aktivitäten. Wir wollen weder mit Delphinen schwimmen noch Wale beobachten. Kein Banana-Boot für uns und auch kein feuriges Tanzen in Diskotheken. Wir bilden
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