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Maedchenmoerder Ein Liebesroman

Titel: Maedchenmoerder Ein Liebesroman
Autoren: Thea Dorn
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Eindruck so authentisch wie möglich wiederzugeben, kann ich es nicht leugnen: Ich war erleichtert, dass mich wenigstens kein entstelltes Monster entführt hatte.
    Ich muss sehr aufpassen, was ich jetzt schreibe, es gibt schon zu viele Missverständnisse über die »Beziehung«, die zwischen mir und meinem Entführer bestanden haben soll. »Stockholm-Syndrom« ist dann das Wort, das die Medien aus der Schublade ziehen, wenn sie nicht mehr weiter wissen. Aber was habe ich mit den Geiseln zu tun, die damals in dieser Bank in Stockholm plötzlich anfingen, sich mit ihren Geiselnehmern zu solidarisieren? Nichts! Es gibt auch kein Foto, auf dem zu sehen wäre, wie ich mit meinem Peiniger herumknutsche! Aus dem schlichten Grund, dass ich mit ihm zu keinem Zeitpunkt herumgeknutscht habe!
    Vielleicht kann ich Ihnen das, was ich empfand, am besten mit einem Beispiel aus der Tierwelt verdeutlichen. Wie fühlt sich eine Gazelle, wenn ihr klar wird, dass sie dem Löwen nicht mehr entkommt? Spürt sie panische Angst? Versucht sie, doch noch einmal zu fliehen? Oder schaut sie nicht den Löwen im letzten Moment an und denkt: Was für ein schönes, starkes Tier! Sterben muss ich ja sowieso. Ist es da nicht besser, von solch einem Tier gefressen zu werden als einfach zu verrecken?
    Ich habe mich tausendmal gefragt, wieso ausgerechnet ich als Einzige von all den Mädchen überlebt habe. Vielleicht nur deshalb, weil ich die Einsicht der Gazelle in mir fand.
     
     
    Ich habe Ihnen versprochen, alles zu erzählen. Aber ich merke, dass es Dinge gibt, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Dennoch werde ich mich bemühen, so viel zu schildern, dass Sie sich ein Bild machen können.
    Bevor mein Entführer ein Wort zu mir sagte, schlug er mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Ich will versuchen, mir die Szene zu vergegenwärtigen.
    Wie bereits gesagt, war ich neben der Matratze in eine Art Angstschlaf gefallen. Ich wurde von einem Licht geweckt, das so grell war, dass ich die Augen fest zukneifen musste. Weil alles still blieb, keine Stimme kam, die etwas sagte, keiner, der mich anschrie, kein Gelächter nach dem Motto »Juli, ätsch, alles nur ein Scherz gewesen!« - deshalb zwang ich mich, trotz der Schmerzen die Augen zu öffnen. Zunächst sah ich nur seinen Umriss. Ich sah, dass er einigermaßen groß war, aber kein Riese, obwohl er direkt über mir stand. Nach und nach konnte ich erkennen, dass er blonde Haare hatte. Und - wie ich versucht habe, Ihnen zu erklären - dass er ein attraktiver Mann war. (Carina hätte ihn unter anderen Umständen wahrscheinlich als »süß« bezeichnet.) Wir blickten uns einen Moment an, das heißt: Er beobachtete mit einem kalten Lächeln, wie ich ihn anstarrte. Ich war gerade dabei, mich aufzurichten, um ihn zu fragen, was er von mir wolle und ob das alles nicht ein blödes Missverständnis sei - da beugte er sich herunter, zog mich an meinen langen rotblonden Haaren halb in die Höhe und schlug mir mit der Hand direkt ins Gesicht. Mein Kopf flog auf den Boden, ich hörte es krachen.
    War es Todesangst, die ich in diesem Moment verspürte? Wut? Ergebenheit? Es war alles zusammen. Sonderbarerweise war mein erster klarer Gedanke, zu dem ich mich aufraffen konnte: Du hast Recht gehabt. Der Boden ist Beton. Genau, wie du ihn dir vorgestellt hast . Auf meinen Lippen schmeckte ich Blut.
    Ich hoffe, Sie begreifen nun, warum ich Ihnen die Geschichte mit der Gazelle erzählen musste. Damit Sie mir glauben, dass ich weder geheult noch um Gnade gefleht habe - und mich auch nicht zur Heldin machen will. Es gibt nur einen einzigen Grund, warum ich nichts von alldem getan habe: Ich kam gar nicht erst auf die Idee. Es war nicht so, dass ich den Impuls zu reagieren, wie zu Tode verängstigte Mädchen normalerweise reagieren, unterdrückt hätte - wie Sie wissen, sollte ich in den kommenden Wochen immer wieder Zeugin von solchem Verhalten werden -, dieser Impuls war in mir einfach nicht vorhanden.
    Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich vermute, dass wir dieses Spiel - er zieht mich an den Haaren in die Höhe, knallt mir eine, und ich falle zu Boden - dass wir dieses Spiel ein paarmal spielten.
    Die ersten Sätze, die ich aus seinem Mund vernahm, werde ich nie vergessen. »Bist du stumm oder was?«
    Seine Stimme war nicht unangenehm. Nicht kreischend. Nicht boshaft. Sicher schwang Verachtung mit, als er dies sagte. Aber auch eine Verwunderung, die mir im Rückblick fast rührend erscheint. Dann fing er
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