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Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge
Autoren: Christian David
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diesem heißen Nachmittag trug Belonoz ein kirschrotes T-Shirt und eine marineblaue Badehose. Barfuß lehnte er im Türrahmen, vor ihm lag der Garten, dahinter die Alte Donau. Der Himmel war wolkenlos, die Sonne brannte hemmungslos herunter. Gleich wollte sich Belonoz in den Liegestuhl schmeißen und dösen. Später würde das Bio-Huhn aus der Steiermark auf dem Holzkohlegrill gegart und anschließend zusammen mit burgenländischem Rotwein verschlungen werden. So weit reichten die Pläne des Majors. Mittels konkreter Gedanken sollten Störmanöver des Schicksals gebannt werden.
    Der Major warf einen Blick auf die silberne Omega an seinem rechten Handgelenk. Es war kurz nach fünfzehn Uhr dreißig.
    Er kontrollierte sein Handy. Nichts überhört, niemand hatte ihn zu erreichen versucht.
    Belonoz dachte an seine Schulzeit. Damals hatte er in ähnlicher Weise das Vergehen der Zeit beobachtet, während quälend langer Mathematikstunden. Nie mehr wieder waren Minuten und Stunden ähnlich langsam dahingekrochen. Nun war es anders. Es ging darum, dass möglichst nichts geschah und die Zeit schnell verging. Dass der Sonntag einfach nur ereignislos ausklang und ein normaler, langweiliger, sorgloser Montag begann.
    Mit zusammengekniffenen Augen schaute Belonoz in den Himmel. Er überlegte, inwieweit das Wetter die Pläne eines Mörders durchkreuzen könnte. Würde nicht, so fragte er sich, die Schönheit dieser Tage jegliche Gedanken an die Tötung anderer Menschen zu verscheuchen imstande sein?
    Er ging in das durch Jalousien verdunkelte Hausinnere. Die Uhr ließ er vom Handgelenk gleiten und legte sie zusammen mit dem Handy auf die Fensterbank. Grob verrieb er Sonnenmilch auf Gesicht und Körper, kehrte mit ein paar weißen Schlieren auf der Haut in den Garten zurück und bahnte sich durch üppig wucherndes Grün den Weg zum Liegestuhl. Er wollte sich in den dunkelgrünen Stoff fallen lassen, als er das Summen hörte.
    Die Biene flog etwa einen Meter von ihm entfernt. Erst zögerlich, schließlich entschlossen steuerte sie auf eine Rose zu, um kopfüber in sie einzutauchen. Belonoz beobachtete, wie begeistert sich das Insekt am Nektar ergötzte. Als sie genug gesoffen hatte, krabbelte die vom Genuss berauschte Biene aus der Blüte, um gleich zur nächsten Versuchung zu schweben.
    Im Hintergrund hörte Belonoz das Handy klingeln.
    »Vergangene Nacht ist eine junge Studentin ermordet worden«, meldete sich ein müder Edi Steffek. »Vor einer Stunde hat man sie gefunden.«
    Es war vorbei mit der Unsicherheit und dem Warten.
    »Wo?«, fragte Belonoz mit rauher Stimme und räusperte sich.
    »In einem großen Mietshaus im ersten Bezirk. Die Tatumstände passen zu den bisherigen Fällen.«
    »Wann holst du mich ab?«
    »In zwanzig Minuten, schätze ich.«
    »Maximal«, sagte Belonoz.
    Das Telefon behielt er in der zur Faust geballten Hand, während er im Garten eine Runde drehte und tief Luft holte. Er wollte die Wut, die ihn plötzlich überkommen hatte, wegatmen.
    Er wusste, dass die Zeit der Illusionen endgültig vorüber war. Das dritte Opfer binnen vier Wochen würde für Panik sorgen und den Druck auf die Ermittler vervielfachen. Mit Zwischenrufen, Warnungen und Belehrungen würden Politiker, Fernsehmoderatoren, Zeitungskolumnisten, Blogger und andere Besserwisser immer neue Nebenschauplätze eröffnen. Jene, die keine Verantwortung trugen, würden am lautesten plärren.
    Wien befand sich unmittelbar vor einem Wahlkampf. In den vergangenen Monaten hatte eine angeblich besorgniserregende Kriminalitätsrate Anlass zu grotesken Polemiken gegeben und war in der politischen Diskussion zum dominierenden Thema avanciert. Ein anonymer, ungehindert mordender Serientäter war das, was noch gefehlt hatte.
    Belonoz und seine Teamkollegen würden die Lage ausbaden dürfen. Falls nicht rasch ein Wunder geschah. Wobei einem Mitglied der Mordkommission Wunder so häufig unterkamen wie treue Ehemänner oder arbeitslose Zahnärzte.
    Auf die Staatsanwaltschaft war in einer solchen Situation kein Verlass, so viel hatte Belonoz längst begriffen. Es gab nichts zu gewinnen für Ankläger, die nur auf ihre Karriere bedacht waren. Nominell leiteten sie zwar die Ermittlungen, hielten sich jedoch von der mühsamen Alltagsarbeit fern. Mit langwierigen, womöglich ergebnislosen Untersuchungen sollten ihre Namen unter keinen Umständen assoziiert werden. Erst wenn ein Serientäter gefasst war, schalteten sie sich ein. Weil sie die Chance witterten, im
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