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Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge
Autoren: Christian David
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fuhr sich durch die Haare und atmete tief ein und aus. Beinahe unmerklich nickte er. Dabei blieb es.
    Steffek beendete seine Versuche, einen Dialog zustande zu bringen. Es schien ihm, als wollte der Major nur rasch zum Tatort gebracht werden. Der Rest der Fahrt verlief ruhig und zugleich von einer nervösen Erwartung geprägt, wie vor einer entscheidenden Prüfung.
    Den Alfa parkte Steffek in der Nähe des Hauseingangs, wo die anderen Polizeifahrzeuge standen. Belonoz löste den Gurt und stieg unerwartet schwungvoll aus. Während er sein zerknittertes Sakko anzog, fragte er mit überraschender Schärfe: »War sie eine echte Studentin? Kein Escort-Mädchen oder so?«
    »Medizin im achten Semester«, erwiderte Steffek und gewann den Eindruck, dass Belonoz plötzlich wie aus tiefer Trance auferstanden und hellwach war.
    »Also eine Studentin, die allein in einer Wohnung im teuren ersten Bezirk wohnt.«
    »Mich hat das auch gewundert«, sagte Steffek. »Offenbar sind die Mieten in diesem Haus vergleichsweise günstig.«
    Belonoz warf einen Blick auf die massive Fassade und nickte anerkennend: »Guter alter Betonbrutalismus. Dünne Wände, niedrige Räume. Da kannst du den Nachbarn zuhören, wenn sie am Klo sitzen.«
    Steffek hatte den Wagen abgeschlossen. Der Major holte die an einer metallenen Kette befestigte Polizeimarke aus seiner Hosentasche und strebte dem Hauseingang zu.
    »Der Hausbesitzer«, sagte er im Gehen zu Steffek, »profitiert von Menschen, die in guter Lage wohnen möchten, ohne gleich ein Vermögen ausgeben zu müssen. Und der Tod ist sogar gratis.«
    Beflissen salutierte der am Haustor wachende Beamte, als Belonoz ihm die Marke zeigte. Steffek folgte seinem Chef, der noch immer die Sonnenbrille trug, ins Gebäudeinnere.
    Hinter einer Absperrung waren ein paar Passanten versammelt, die nun ihre Köpfe zusammensteckten, aufgeregt tuschelten und gestikulierten. Direkt hinter ihnen stand ein dunkel gekleideter Mann. Seine Augen blieben starr auf das Geschehen vor dem Haus fixiert, während er sich eine Zigarette anzündete. Seine Hände zitterten.
    *
    Im Nachhinein ließ sich nichts mehr rekonstruieren. Aber irgendwie musste sie es während der Nacht und im Schlaf geschafft haben, das Sofa zu verlassen. Jedenfalls hatte sich Lily Horn am späten Sonntagvormittag nach beinahe elfstündigem Schlaf in ihrem Bett wiedergefunden.
    Im Airbus über dem Atlantik war Lily die letzte Mahlzeit serviert worden. Sie war nahezu unberührt geblieben. Daher rührte der Hunger, der sie gegen ihren Willen aus den Federn trieb. Sie trank drei Gläser Leitungswasser, schlüpfte in einen uralten, ausgebeulten Jogginganzug und lief die kurze Strecke zum Schottentor. In der unterirdischen Passage versorgte sie sich mit Gebäck, Obst und Mineralwasser.
    Später räumte Lily die Koffer aus, während alle Winkel der Wohnung durch die geöffneten Fenster von frischer Luft erfüllt wurden. Dabei bemerkte sie etwas überrascht, dass sie sich freute, wieder zu Hause zu sein. Die gestern noch sedierten Gefühle hatten sich zurückgemeldet, was ihr Wohlbefinden steigerte. Nur kurz empfand sie Verwunderung angesichts eines dunklen Flecks auf einer der weiß getünchten Wände. Eine Sekunde später entpuppte sich der Fleck als der Nachtfalter von vergangener Nacht.
    Endlich war Albine an der Reihe. Lily hatte die Freundin vermisst, besonders zuletzt, als sie die Einsamkeit plagte. Mails oder Telefonate hatten keinen Ersatz für den persönlichen Kontakt bieten können.
    In mancher Hinsicht stellte Albine einen Gegenentwurf zu Lily dar. In den entscheidenden Punkten jedoch existierte eine Verbundenheit zwischen ihnen, die keiner erläuternden Worte bedurfte und etlichen Männern Verdruss beschert hatte. Beide handelten instinktiv und verabscheuten Heuchelei, sie liebten das Leben und lachten gerne auch über sich selbst. Und sie waren nicht bereit, die eigenen Ideen aufzugeben, um irgendjemandem zu gefallen. Schon gar nicht Männern, die sie mit geweiteten Augen wortlos anglotzten, bloß weil sie von selbstbewussten Frauen überfordert waren.
    Ohne Lily richtig zu begrüßen, jubelte Albine aus dem Telefon: »Wo ist der Treffpunkt? Dir ist doch klar, dass wir uns sofort sehen müssen? Die vergangenen Monate ohne dich waren die Hölle. Mir hat meine Beichtmutter gefehlt. Dabei habe ich eine Menge zu beichten. So viele Sünden, wenn du wüsstest.«
    Albine lachte begeistert, und Lily sagte: »In einer Stunde beim Brunnen vor dem Café Korb.
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