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Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge
Autoren: Christian David
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niederließen. Den ihnen angemessenen Soundtrack lieferten DJs bis spät in die Nacht, wenn die Lichter der Stadt milder wurden und die Sterne am Himmel zu erkennen waren.
    Gegen dreiundzwanzig Uhr trafen dort vier Frauen und fünf Männer ein, alle um die zwanzig. Betont leger gekleidet, die Herkunft aus braven Bürgerhäusern konnten die Studenten dennoch nicht verleugnen. Übermütig diskutierten und lachten sie, tranken Bier, Wein oder Cocktails. Ihre Gesichter waren hübsch und glatt, Mimik und Gestik von sorgloser Unbeschwertheit geprägt. Private oder berufliche Kränkungen hatten sie noch nicht gedemütigt.
    Eine halbe Stunde nach Mitternacht erhob sich ein Mädchen aus der Runde. Sie habe einen langen Tag vor sich, verkündete Magdalena Karner und schnitt eine missmutige Grimasse.
    »Übermorgen habe ich die große Prüfung, genau genommen schon morgen «, sagte sie, während sie sich nach ihrer Handtasche bückte. »Ich muss wirklich bis zum letzten Moment lernen, sonst wird es heikel.«
    »Das heißt aber jetzt nicht, dass du uns schon verlassen willst, Lena?«, fragte einer der jungen Männer mit provokantem Unterton und nahm einen Schluck aus seinem Rotweinglas.
    »Leider schon«, gab Magdalena zu und lachte kurz auf, als wäre sie bei einer peinlichen Lüge ertappt worden.
    Sofort hagelte es Proteste. Die Freunde spielten Empörung und versuchten, sie zum Bleiben zu überreden: »Das ist echt schade, Lena … Nur eine halbe Stunde noch, darauf kommt’s garantiert nicht an … Am Tag vor der Prüfung soll man gar nicht mehr lernen, sondern nur chillen … Sicher bist du ohnehin schon perfekt vorbereitet …«
    Es half natürlich nichts, aber das wussten die Freunde. Magdalena ließ sich niemals zu etwas bewegen, von dem sie nicht vollkommen überzeugt war. Eine minutenlange Abschiedszeremonie wurde zelebriert, es wurde umarmt und geküsst.
    Magdalena stakste durch den Sand davon. Hinter sich hörte sie die Stimmen jener, die diesen Samstagabend weiter genießen konnten. Für einen kurzen Augenblick bedauerte sie den frühen Abschied.
    Sie dachte an die verliebten Paare, die sie gesehen hatte. Und daran, wie allein sie sich gefühlt hatte, obwohl sie in Gesellschaft gewesen war.
    Wie immer in solchen Situationen versuchte Magdalena, sich auf die Realität zu konzentrieren. Auf das Machbare. Ihr Medizinstudium wollte sie zielstrebig absolvieren. So wie sie es geplant und den Eltern versprochen hatte. Ihre Ziele umfassten ein erfolgreiches Studium, eine erfolgreiche Karriere, ein erfolgreiches Leben. Erfolgreich war das magische Wort. Es schien ihr von einem Zustand größtmöglicher Erfüllung zu künden, der jedoch erst verdient werden musste. Durch Arbeit und Fleiß.
    Diese moralische Komponente gefiel ihr. Die Vorstellung, einem Menschen könnte das Glück in den Schoß fallen, verachtete sie. Alles im Leben müsse angestrebt und unter Mühen erworben werden, gegen jegliche Widerstände. Davon war Magdalena überzeugt. Ausschließlich das auf diese Art Erreichte hielt sie für wertvoll.
    Um den Grund für ihre Haltung zu erkennen, hätte sie in die eigene Vergangenheit zurückkehren müssen. Bis zum schmerzlichsten, dunkelsten Punkt, der ihr Vertrauen in die Mitmenschen und eine von guten Geistern bestimmte Welt unrettbar ruiniert hatte.
    Magdalena kletterte die enge Treppe hinauf und nahm den direkten Weg entlang der vielbefahrenen Straße oberhalb des Donaukanals. Einer jener für Wien typischen leichten Winde wehte durch ihre lockigen braunen Haare und ließ ihr blaues Sommerkleid flattern. Autos brausten an ihr vorbei, und sie erschrak, als plötzlich wild gehupt wurde und hämmernde Beats vorbeidröhnten. Der Lärm stammte von einer weißen Stretchlimousine, aus deren Dachfenster zwei dünne, blonde Mädchen hingen. Zu lauter und billiger Musik warben sie mit rudernden Armen für einen neu eröffneten Strip-Club.
    Kein Grund zur Beunruhigung. Alles entsprach jenem Idealbild des fröhlichen, harmlosen und sicheren Wien, wie es seit Wochen von der Vizebürgermeisterin Marina Lohner propagiert wurde. Keine Gauner, Diebe oder Vandalen waren hier unterwegs, sondern durch die Nacht Wandernde, die dem nächsten Lokal oder der nächsten Party entgegenstrebten.
    Eine Viertelstunde später querte Magdalena eine hektische Kreuzung. Wenige Schritte später erreichte sie den plump proportionierten Betonkoloss mit den vielen Balkonen, der von schamlosen Architekten in eine Lücke zwischen raffiniert
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