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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt
Autoren: S Beerwald
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können.«
    Atemlos war Helena dem Gespräch gefolgt. »Womöglich kann ich die Krankheit gar nicht bekommen«, wand sie ein.

    Die Fürstin schien sich ein wenig zu beruhigen. »Sehen Sie, lieber Äskulap. Malen Sie nicht immer gleich den Teufel an die Wand. Das Mädchen hat sich genauso wie wir einer Inokulation unterzogen. Sie ist vernünftiger als die Damen unseres Stifts, die lieber sterben, anstatt sich ihre Haut mit einer milden Form der Blattern zu ruinieren!«
    Der Zeigefinger des Leibarztes richtete sich wie ein Spieß auf Helena. »Und warum hat dann dieses Weib hier eine solch makellose Haut?«
    Helena zuckte zusammen, als habe er sie getroffen. »Ich habe nicht gesagt, dass ich mich einer Inokulation unterzogen habe. Es gibt wohl einen anderen Grund, warum …«
    Der Leibarzt schlug das Kreuz und wich einen Schritt zurück. »Ich sage es doch: Sie ist eine Hexe! Hören Sie doch, wie der Teufel aus ihr spricht!«
    »Äskulap, ich bitte Sie! In welchem Jahrhundert leben wir? Auch dafür wird es eine vernünftige Erklärung geben.«
    Der Leibarzt wandte sich Helena zu. »Ich höre?«
    »Ja … also … Ich weiß es nicht. Vielleicht bekomme ich keine Blattern, weil … weil es einfach Gottes Wille ist.«
    »Sehen Sie, werter Äskulap? Sie würde sich kaum auf den Allmächtigen berufen, wäre sie eine Braut des Teufels. Es wird Zeit, dass Sie sich jetzt wieder um die Wirklichkeit kümmern und die hiesigen Stiftsdamen von einer Inokulation überzeugen.«
    »Das werde ich tun. Aber ohne dieses Weib hier …«
    Helena ließ das Gezeter an sich abprallen. Sie zog ohnehin nicht in Erwägung zu bleiben. Doch etwas anderes machte ihr Sorgen. Es wäre tödlicher Leichtsinn, jetzt noch milde Formen der Blattern zu kaufen, um nicht von der großen Seuche erfasst zu werden. Viel zu oft hatten sich die
Bader in der Stärke des Gifts geirrt, so dass sich schwere Blattern entwickelt hatten und damit der Seuche lediglich weitere Nahrung geliefert worden war. Wenn sie nur den Mut hätte … Eigentlich müsste das der Leibarzt doch wissen! Irgendjemand musste ihn warnen.
    Helena hörte sich selbst sagen: »Verzeihung, aber für solche Inokulationen ist es zu spät, sie sind jetzt viel zu gefährlich. Aus der milden Form kann sich eine tödliche entwickeln. Dann sind alle in Gefahr, und das Stift hätte sich die Blattern freiwillig eingekauft.«
    »Jetzt schwatzt sie mir auch noch drein … Gnädigste Äbtissin, wenn dieses Weib bleibt, dann … dann gehe ich!«
    »So?« Die Äbtissin legte die Lorgnette beiseite und faltete die Hände über der Bettdecke. »Wohin denn?«
    »Wohin? An einen anständigen Fürstenhof!«
    »Was wollen Sie damit sagen, mein lieber Äskulap?«
    »Damit will ich sagen, dass eine Fürstin eine Fürstin und eine Äbtissin eine Äbtissin ist. Sie können nicht beide Ämter für sich beanspruchen. Man kennt sich ja gar nicht mehr aus!«
    »Wohl bin ich aber eine Fürstäbtissin. So ist es des Kaisers und nicht zuletzt des Bischofs Wille.«
    »Das ist es ja! Sie drehen Ihr Fähnlein, wie es Ihnen gerade passt. Wenn der Schutz des Bischofs vonnöten ist, dann kehren Sie Ihre Gebetsverpflichtungen hervor und vor den Augen des Kaisers sind Sie wiederum von klösterlichen Regeln weit entfernt. Das kann doch nicht zusammengehen! «
    »So fügt es sich doch geradezu ins Bilde, dass in diesem unanständigen Hause ein Mädchen in der Kunst des Heilens unterrichtet werden soll, finden Sie nicht?«

    »Wenn das so ist, dann sehe ich mich gezwungen, das Stift zu verlassen. Das ist mein letztes Wort!«
    Die Fürstäbtissin ließ sich in die Kissen sinken.
    Helena brachte ein zaghaftes Lächeln zustande. Sie war nicht enttäuscht, denn es wäre auch zu schön gewesen. Bei einem Leibarzt zu lernen! Und das als Frau. Aber bei ihm in die Lehre zu gehen, hätte sie ohnehin nicht gewagt.
    Obwohl das Gesicht der Fürstin regungslos blieb, glaubte Helena ein verschmitztes Lächeln um die Mundwinkel zu erkennen.
    »Wenn das so ist, mein lieber Äskulap, dann schlage ich vor, dass das Mädchen heute Nachmittag die erste Unterrichtsstunde bei Ihnen erhält. Und das ist mein letztes Wort!«
    Der Leibarzt brachte keine Erwiderung über seine vor Zorn bebenden Lippen.
    »Der Vertrag wird durch Handschlag besiegelt«, hörte Helena die Fürstäbtissin wie aus weiter Ferne sagen. »Morgen um zwölf Uhr findet während der Kapitelsitzung die offizielle Aufnahme statt.«
    Helena zitterte unmerklich. Nur noch eine Armlänge war sie
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